Velos für alle statt für wenige

 

Normalerweise steht in der Zeitung, was ist bzw. war. Hier folgt für einmal ein Bericht über etwas, was sein könnte – so sich jemand für die Idee erwärmen kann.

 

Als die SP Kanton Zürich vor einem Monat das Flüchtlingsmanifest von Franz Hohler präsentierte, sprach unter anderen auch Sadou Bah von der Autonomen Schule Zürich. Er erwähnte nicht nur das grosse Interesse an den dort angebotenen Sprachkursen, sondern betonte auch, dass noch mehr Flüchtlinge die Schule besuchen würden – hätten sie nicht das Problem, dass sie gar nicht dorthin gelangen, weil ihnen das Geld fürs Tram fehlt. Sodann sprach er noch ein weiteres Thema an, nämlich den chronischen Bewegungsmangel der zum Warten verdammten Flüchtlinge; deshalb seien auch Leute, die freiwillig zum Beispiel als Tschutti-Trainer amten wollten, gefragt. Spätestens da machte es bei der Schreibenden Klick: Klarer Fall – was die Flüchtlinge brauchen, sind Velos! Hätten alle ein Fahrrad zur Verfügung, wären ihnen Gratisfortbewegung und ein Mindestmass an Bewegung garantiert.

 

Gelegenheit macht SchülerInnen

Nun ist das natürlich einfacher geschrieben als getan: Wer sich das Trambillet nicht leisten kann, kann erst recht nicht genügend Geld zur Seite legen, um sich ein Velo zu kaufen. Es können nicht nur Flüchtlinge, sondern auch SozialhilfebezügerInnen ein Lied davon singen, dass das Leben für Menschen mit wenig Geld unverhältnismässig teuer ist: Wer Arbeit und ein regelmässiges Einkommen hat, kann sich fürs Tram ein Monatsabo leisten und fährt so um einiges günstiger, als wer Einzelbillette zum vollen Preis kaufen muss. Und wie meistens, führt auch hier eines zum andern: Wer arm ist, kann sich nicht so frei bewegen wie der Normalsterbliche, und wessen Mobilität eingeschränkt ist, dem oder der entgehen möglicherweise nützliche Angebote wie eben Sprachkurse. Dass das nicht jeder SVPler im Hinterkopf hat, der am Stammtisch wettert, die Flüchtlinge wollten sich nicht integrieren, liegt auf der Hand. Deshalb sei der Gedanke, dass Gelegenheit nicht nur Diebe macht, sondern auch SchülerInnen, hier mal zuende gedacht.

In der Stadt Zürich übersteigt zum einen die Zahl der Velos, die ungenutzt in Kellern und auf Dachböden herumstehen, die Zahl der mehr oder weniger regelmässig benutzten Fahrräder um mindestens das Dreifache. Vom hohen Qualitätsbewusstsein der Zürcher KonsumentInnen ausgehend, ist die Vermutung kaum falsch, dass es unter diesen stillgelegten Rädern etliche hat, die man bedenkenlos auf die Strasse lassen dürfte. Wobei man sie selbstverständlich zuerst einem Velocheck unterziehen würde, wie ihn beispielsweise Pro Velo anbietet – sicher ist sicher.

Zum andern zeigt sich an den Velobörsen von Pro Velo immer wieder, dass es VelobesitzerInnen gibt, die ihr nicht mehr gebrauchtes, aber noch fittes Gefährt nicht so teuer wie möglich verkaufen wollen, sondern sich mit einem moderaten Erlös zufrieden geben bzw. es auch verschenken würden: Ihnen ist mehr daran gelegen, dass das Velo nicht bloss ungenutzt herumsteht und Platz braucht, sondern tatsächlich gefahren wird.

 

Crew und HelferInnen gesucht

Man nehme also eine Anlaufstelle mit Lagerraum, ein paar freiwillige HelferInnen und etwas Spendengeld, und schon kanns losgehen: Wer seinem nicht mehr gebrauchten Velo ein zweites Leben bescheren will, liefert es bei der Stelle ab. Mit Spendengeldern wird der Velocheck bezahlt, den beispielsweise auch die Velowerkstatt der Arbeitsintegration der Stadt Zürich durchführen könnte. Als weitere Auslage kommt der Preis für ein Veloschloss dazu, denn ohne währt die Freude am Zweirad in Zürich bekanntlich allzu kurz. Die derart flott gemachten Gefährte werden sodann, versehen mit einer Quittung samt Angabe der Rahmennummer, die den rechtmässigen ‹Erwerb› bescheinigt, gratis an Asylsuchende und SozialhilfeempfängerInnen abgegeben. Sollte noch etwas Spendengeld übrig sein, könnte man jenen, die sich nicht aus dem Stand ins Zürcher Verkehrsgetümmel wagen, einen Velofahrkurs spenden. Eine andere Möglichkeit wäre, mit den Spendengeldern direkt an den Velobörsen geeignete Velos zu kaufen und sie vor Ort weiterzuvermitteln – damit fiele der Lagerraum weg, der in Zürich bekanntlich knapp und teuer ist. Das Herzstück wäre in jedem Fall die Vermittlungsstelle, die Zweirad-GeberInnen und -NehmerInnen zusammenbringen würde.

Wie Dave Durner, Geschäftsleiter von Pro Velo Kanton Zürich, auf Anfrage erklärt, sieht er durchaus Potenzial für diese Idee. «Auf unserer Geschäftsstelle in Zürich hätten wir allerdings keinen Platz, um Velos auf dem Weg von der Geberin zum Nehmer zwischenzulagern», sagt er und fügt an: «Dafür könnten wir gute Veloschlösser zum Selbstkostenpreis anbieten, vielleicht sogar etwas darunter.» Denjenigen, die sich als VelovermittlerInnen engagieren möchten, würde Pro Velo zudem gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen und ihnen auch die erwähnten Angebote wie Velocheck oder Velofahrkurse zugänglich machen.

Fehlt also nur noch jemand bzw. eine Gruppe von Interessierten, die sich engagieren möchten. Sie täten damit übrigens nicht nur den Asylsuchenden und den SozialhilfeempfängerInnen etwas Gutes, sondern allen VelofahrerInnen in Zürich. Denn die beste Veloförderung ist immer noch diejenige, die sich via schiere Masse von VelofahrerInnen quasi von selbst ergibt. Und: Je mehr Velos in einer Stadt unterwegs sind, desto sicherer ist erwiesenermassen das Velofahren – und zwar für alle. Kurz: Immobiles Warten in der Asylunterkunft macht ebenso unbeweglich und letztlich krank wie zu viel sitzen im Büro, während umgekehrt velo-mobiles Unterwegssein sowohl für die Gesundheit wie für die Integration nur gut sein kann.

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