Unverstanden oder aktiv ignoriert

Das Fluide im Werk von Pippa Garner (*1942) umfasst auch ihr Leben und erschwert es, ihre zwischen Industrialdesign, Kunst und politischer Agitation changierenden Arbeiten einer gewöhnlichen Zuschreibung zu unterwerfen. Die Kunsthalle Zürich lädt zu einer Reise ins Archiv.

 

Nach der Ausstellung «Act like you know me» ereilt einen die eher triste Vermutung, dass, wer sich aktiv, lustvoll und handwerklich gekonnt ausserhalb der gängigen Schemen bewegt, gerade mal so lange toleriert wird, als die deshalb nur schwer einzuordnende Person respektive deren Aussagen in einem Akt der Überheblichkeit ins scherzhafte Fach abgeschoben werden können. Vielen der als Archivpräsentation drapierten Arbeiten wohnt eine derart hochgradig subversive Absurdität inne, dass sie leicht als allein versponnen angesehen werden können. Sobald dieser Aspekt nicht mehr mitgedacht werden kann, kommt Ablehnung auf. Bei der Fotoserie «Coffeeshop Waitresses», in der sie Servicepersonal nicht nur ablichtete, sondern in den Texten auch Hintergründe über ihre Migrationsgeschichte und die aktuellen Lebensumstände publiziert haben wollte, lehnten alle grossen Zeitschriften einen Abdruck entschieden ab. Und dies, obschon Pippa Garner ansonsten eine gern gesehene Lieferantin von Inhalten – Illustrationen wie Texte wie Fotografien – für grosse Zeitschriften wie die ‹Vogue›, den ‹Esquire› oder den ‹Playboy› war. 

 

Fetisch Auto

Die Eindeutigkeit einer politischen Lesbarkeit stand hier im Weg. Wenn Pippa Garner zum Beispiel Autos so umgebaut hat, dass sie nicht nur ihrer Ursprungsfunktion enthoben sind, sondern auch in der neuen Form einen nurmehr sehr schwer vorstellbaren Nutzen aufwiesen, ist die Verortung eines Spleens, eines Gags oder im Extremfall sogar der Kunst hilfreich, um die darin augenscheinlich genauso innewohnende Kritik am Konsumwahn und der Autofetischisierung klammheimlich unter den Tisch fallen lassen zu können. Die Werbeeinnahmen für auflagenstarke Publikationen sprudelten in den 1960er- bis 1980er-Jahren dermassen reichlich, dass die Budgets wie der gesteigerte Seitenumfang die Redaktionen zu erfreulicher Experimentierfreudigkeit ermunterten, die Freiheit für die LieferantInnen von Inhalten entsprechend gross war. Eine Erfinderin konnte als exzentrisch eingestuft werden und Unterhaltung macht sich zu allen Zeiten gut, um den Raum zwischen den Anzeigenseiten aufzulockern. Eine Zeichenserie alternativer Motorantriebe aus dem gängigen Blickwinkel unter eine Kühlerhaube – ein menschliches Gehirn, ein biblischer Erlöser oder ein Haufen Dollarscheine – musste in den 1980er-Jahren nicht automatisch als Anregung zum Nachdenken über Umweltschutz gelesen werden. Eine Karosserie, die Garner eigenhändig umgekehrt wieder aufs Chassis montierte und damit herumfuhr oder die Pläne für sinnvolle (also: sinnfreie) Erfindungen rund um das Allerheiligste konnten in derselben Manier als hedonistischer Freakeinfall abgetan werden. 

 

Selbstinszenierung

Für mehrere Late-Night-Shows war sie – damals äusserlich noch Philipp Garner – der jeweils letzte Gast, der ausgefallene Erfindungen präsentierte: Ein Mechanismus für die öffentliche Probe von geheim bleiben müssenden Reden, eine Tanzhilfe für gemischtgeschlechtliche Paare, ein Büstenhalter, der zeitgleich die Funktionen des Walkman übernimmt oder als Megaphon zum skandieren von Parolen dienen kann, den halben Herrenanzug, der das Umziehen zwischen Business und Beach überflüssig macht, usw. Zum Auftakt der textreichen (häufig auf deutsch übersetzten) Schau des Kuratorinnenduos Fiona Alison Duncan und Maurin Dietrich sind Selbstinszenierungen in der Ästhetik der damaligen Modefotografie zu sehen: Ein Krawattengürtel, der unschwer als Anlehnung an Josephine Bakers Bananenröckchen erkennbar ist, doppelreihig zu tragende Krawatten, was die Männlichkeit des Trägers unverkennbar nochmals erhöht, oder die Umkehr, die Stellvertretung eines Haarzopfs an dessen Stelle, was die eben getroffene Einschätzung konterkariert, indem Garner ihr das Fundament unter den Füssen entzieht. In den 1980er-Jahren begann Garner mit der verbotenen, also auch verheimlichten Einnahme von Östrogen. Gegen aussen hin vermarktete sie diesen Akt als logische Konsequenz eines spielerischen Verständnisses des eigenen Körpers als Kunstträger, aber aus ausgelegten Briefen und Texten spricht sehr wohl eine grosse Dringlichkeit, «den Körper und die Seele als eine Einheit» erleben zu wollen. Um die damit einhergehende Schlacht des Geschlechterkampfes auszufechten, schaltete sie extrem sexistisch formulierte Kontaktanzeigen, indem sie ihren Exotismus als Lustgarant für auf sexuellen Exotismus anspringende Kundschaft anpries. In einer weiter ausholenden Verortung gleicht ihr Werk unter einem politischen Aspekt der (annährend verzweifelnden Ohnmacht einer) Antikriegshaltung der Dada-Bewegung und erfährt auch dieselbe Rezeption: Unentschieden zwischen sogenanntem Unverständnis und aktiver Ignoranz.

 

Pippa Garner: «Act like you know me», bis 14.5., Kunsthalle, Zürich.

 

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