- Kultur
Unter Volldampf
Wer die Konfrontation sucht, wie die Journalistin Shiori Ito, die Noriyuki Yamaguchi, den mächtigen Chefredaktor des Tokyoter Broadcasting Systems und Busenfreund des damaligen Premiers Shinzo Abe mit den Mitteln der japanischen Rechtsprechung für ihre sexuelle Schändung unter Betäubung zur Rechenschaft zu ziehen begehrte, kann im Nachgang regelrecht von Glück sprechen, wenn sie das überhaupt überlebt, wie sie das in «Black Box Diaries» vor exakt einem Jahr ungeheuer eindringlich dokumentiert hat. Satocho Ichihara, die bereits vor vier Jahren im Theater Neumarkt mit «Madama Butterfly» die Geschichte der männlichen Ausbeutung der unterwürfigen Frau als Gebärmaschine via die Form eines Feelgood-Werbespots für ein Lifestyle-Accessoire bis in die Groteske überhöhte, setzt mit «Holstein Milchkühe» im Schauspielhaus sowohl inhaltlich als auch formal ihren kaum verklausulierten und dennoch indirekt bleibenden Klageauswurf fort. Das scheinbar grösste Glück für die angeblich emanzipiert selbstbestimmt in der Rolle einer Single-Tradwife lebende Ankuhla (Hilde Altenfrohe), um nicht zu sagen, die ekstatischste Autostimulation erfährt sie, wenn sie in krasser Vulgärsprache erklären und vorführen kann, womit sie erfolgreich ihre sittliche Enthaltsamkeit vulgo Unterdrückung ihrer Libido zu sublimieren reüssiert. In insgeheimen Augenblicken des Verlustes dieser angeblichen Selbstkontrolle schändet sie ihr vollends auf Niedlichkeit gezüchtetes Schosshündchen Hawaii (Verena Jost), dessen Äusseres sie für ein allmächtiges Schutzschild gegen jede patriarchale Ausbeutung ansieht und sich deshalb diesem Ideal selbst angeblich freiwillig unterwirft. Als erfolgreichste professionelle Kuhbesamerin weit und breit spielte sie einst mit dem Gedanken, ihren eigenen Uterus seiner einzigen und sakrosankten Bestimmung zuzuführen, weshalb sie sich in einer ausgesprochen rassisch begründeten Wahl den gefrorenen Samen eines Japaners liefern liess. Ein unvorhersehbar beglückendes Erleben sexueller Erfüllung mit der eigenen körperlichen Weichheit in Form ihres eigenen Ebenbildes in einer verruchten Einrichtung weckten Zweifel an ihrem Plan, weshalb sie das japanische Menschensperma mit zur Arbeit nahm und dort seiner Bestimmung zuführte. Dieser mythologische Faun Peachena (Lorena Handschin) mit überdimensioniert erigierter Klitoris in «Holstein Milchkühe» sucht sie als Nymphe respektive imaginierte Gebärmutter auf. Als Tier bereits geschlechtsreif, als Menschenskind noch schutzbedürftig hilflos, gerät Ankuhla darüber in eine derartige Verzückung, dass sie sich – ähnlich wie zuvor im Darkroom – ihrer internalisierten Unterwerfung unter das Patriarchat respektive die Allmacht des Penis hingibt und sich dabei stolz, erhaben und selbstbestimmt vorkommt. Eine Penishuldigung, wie sie in der Realität im japanischen Kawasaki während einer Furchtbarkeitsprozession öffentlich und publikumswirksam zelebriert wird. Final hilft sie dem Faunwesen komplett kontra-indikatorisch, sich von ebendieser Klitoris endgültig befreien zu können, damit endlich wieder Ruhe im Karton einkehren möge. Auf der Pfauenbühne ist das alles sehr eigenartig, wirkt zwischenzeitlich höchst subversiv, als sei es ein ganz grosser Spass, und meint doch einen Dampfkochtopf unter Volldampf, der kurz davor steht, zu explodieren. Symbolisch ist alles sternenklar und für eine mitteleuropäische Perspektive annähernd ältlich, wohingegen sich Tendenzen zur Überassimiliation, die sich gerade in der europäischen Geschichte mehrfach als lebensgefährliches Trugbild erwiesen hat, zumindest, was das äussere Erscheinungsbild einer uniformierten Schönheit und einer grassierenden Verkennung des Grades an antizipierter Selbstverständlichkeit einer weitreichenden Ungleichheit sich bei Licht betrachtet, als nicht komplett an den Haaren herbeigezogen herausstellt. Alle Schauspielerinnen spielen zum Niederknien. Ob damit ein Publikum erreicht wird, ist eine völlig andere Frage.
«Holstein Milchkühe», bis 5.12., Schauspielhaus, Zürich.