Unspektakulär

Der Spuk war relativ schnell vorbei. Bereits im zweiten Wahlgang erhielt Ignazio Cassis die erforderlichen Stimmen. Und schon nach dem ersten Wahlgang schien ziemlich sicher, dass der Favorit das Rennen machen wird. Cassis erhielt im ersten Wahlgang 109 Stimmen – 122 hätte er gebraucht. Pierre Maudet erhielt 62 Stimmen, Isabelle Moret 55, 16 Stimmen gingen an andere (wohl Spassvögel, die Christa Rigozzi oder ähnliches aufgeschrieben haben).

 

Rein rechnerisch wäre es zwar möglich gewesen, Cassis zu verhindern, wenn sich alle, die nicht Cassis gewählt haben, auf einen Kandidaten geeinigt hätten. Das ist aber mehr eine theoretische Variante – nicht alle, die im ersten Wahlgang Cassis nicht wählten, wollten ihn auch verhindern. Die kurzfristigen Gerüchte, dass Pierre Maudet eine Chance habe, Cassis zu entthronen, die in der Bellevue-Bar in der Nacht der langen Messer aufgekommen sind, waren offensichtlich eben nur Gerüchte und Spekulationen.

 

Es ist allerdings auch nicht weiter dramatisch. Wie ich an dieser Stelle bereits einmal schrieb: Alle drei Kandidierenden der FDP waren valabel, alle könnten dieses Amt ausüben. Alle drei hatten Themen, in denen sie auch schon eine andere Meinung als die Partei vertreten haben – Moret bei der ausserfamiliären Kinderbetreuung, Maudet mit der Regularisierungsaktion für Sans-Papiers und Cassis in der Drogenpolitik. Dennoch waren alle drei typische VertreterInnen ihrer Partei. Wir wählten in dieser Versammlung einen Freisinnigen, und wir haben einen Freisinnigen erhalten.

 

Es wird jetzt vieles in Ignazio Cassis hereininterpretiert, von dem ich noch nicht sicher bin, ob es sich erfüllen wird. Die NZZ jubelt: «Ja, es dürfte nun für die Linke schwieriger werden, linke Politik durch den Bundesrat zu pressen. Eine längere Phase geht hoffentlich zu Ende, in der sogenannte bürgerliche – oder noch schlimmer: sich liberal nennende – Politiker zu einer etatistischen und interventionistischen Politik Hand boten. Die Erwartung an Cassis ist, dass der Wind hier dreht.» Cassis hat in dieser Wahl auf die SVP gesetzt – und es ist klar, dass sich die SVP davon etwas erhofft.

 

Wie sich jemand aber in einem Amt entwickelt, auf wen er hört, mit wem er diskutiert und mit wem sich Allianzen bilden, kann sich aber durchaus verändern und entwickeln. Und die Stimmenverhältnisse und Diskussionen verlaufen in Exekutiven längst nicht immer klar nach Parteibuch. Auch mancher hat sich trotz Stimmen der SP nachher nicht so dankbar gezeigt, wie sich das manch einer erhofft hat. Ob Cassis also ein guter oder schlechter, ‹rechter› oder ‹linker› Bundesrat wird, wird sich zeigen – wir sollten ihn an seinen Taten messen, was aber auch heisst, dass er eine Chance verdient hat.

 

Ich war immer etwas zurückhaltend beim Vorwurf des Krankenkassenlobbyisten. Es ist Teil unseres Systems, dass Lobbyisten direkt im Parlament sitzen. Und insbesondere in der Gesundheitspolitik ist die Anzahl Personen, die keine direkten Interessen vertreten, dünn gesät. Auch Interessen von ÄrztInnen, Spitälern oder PatientInnen sind Interessen. Es ist legitim, diese zu vertreten. Ich bin auch der Meinung, dass unser System der mangelnden Transparenz ein Problem ist. Es ist stossend, dass das Parlament – im Gegensatz zu kantonalen und kommunalen Parlamenten, die ja eben gerade Milizparlamente sind – keine Ausstandsregeln kennt. Die Mehrheit des Parlaments will das aber offenbar nicht ändern, da sie die – teilweise gut bezahlten Mandate – behalten will. Man kann und soll hier das System kritisieren, aber wenn sich einer im Rahmen dieses Systems bewegt, kann man ihm das nur schlecht vorwerfen. Das einzige, was bleibt, ist das Abgeben seines italienischen Passes, sein Bündnis mit der SVP und seine abschätzige Bemerkung über Quotenfrauen. Das reichte mir, ihn nicht zu wählen. Aber es reicht mir nicht, ihn ganz abzuschreiben.

 

Was mich aber am ganzen Wahlkampf und dem Wahlgang beelendete, war der allgemeine Umgang mit der einzigen Frau im Rennen. Isabelle Moret wurde von einigen Medien systematisch schlecht geschrieben, ihr Privatleben wurde ausgebreitet, genüsslich wurden anonyme Quellen, die ihr nicht wohlgesinnt waren, zitiert. Am Schluss war das Bild klar: Hier kandidiert die unfähigste Kandidatin aller Zeiten. Dies setzte sich auch in den Köpfen der Ratsmitglieder – leider auch in meinen Reihen – fest. Natürlich hat Moret im Wahlkampf nicht nur geschickt agiert und hatte nicht nur gute Auftritte. Aber wenn das jemanden prinzipiell für das Amt disqualifizieren würde, dann wären auch einige andere Mitglieder des Bundesrats – über die niemals mit derselben Häme berichtet wurde – im falschen Amt. Und: Auch wenn dies eine subjektive Wahrnehmung ist: Im Hearing war es nicht Moret, die meine Erwartungen enttäuschte, sondern eher Überflieger Maudet, der die Versprechen, den sein durchaus geschickter medialer Wahlkampf geweckt hat, nicht einlöste. Seine besten Fürsprecher waren denn auch seine Genfer Ratskolleginnen und -kollegen und nicht er selbst.

 

Es war insgesamt eine geschickte Show, die die FDP hier inszenierte, mitsamt eigenem Newsroom in der Nacht der langen Messer. Das muss man neidlos anerkennen. Ansonsten sind vermutlich einige froh, dass die Wahl nun vorüber ist. Didier Burkhalter betonte in seiner Abschiedsrede genauso wie Ignazio Cassis in seiner Antrittsrede, dass wir in der Schweiz ein Kollegialitätssystem haben. Wir haben hier keine einzelnen Stars, sondern – mindestens in der Idealvorstellung – ein Team von sieben Gleichen, die sich alle auf ihre Weise für das Wohl des Landes einsetzen wollen. Ratspräsident Jürg Stahl erwähnte in seiner Würdigung von Burkhalter ein Bild von ihm, das in den sozialen Medien viel Beachtung fand. Das Bild zeigte Burkhalter, wie er auf den Zug ging – alleine und ohne Bodyguards. Das mache eben die Schweiz aus, dass auch Bundesräte ganz normal zur Arbeit fahren können.

 

Ich verfolge leidenschaftlich gerne Wahlkämpfe in anderen Ländern, mag das Drama und die Leidenschaft. Das haben wir bei Schweizer Bundesratswahlen nicht – auch wenn man sie medial ein wenig so zu inszenieren versucht. Bundesratswahlen sind eigentlich ziemlich unspektakulär. Aber das ist schon okay so.

 

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