Unnötige Machtdemonstration

Die Kantonspolizei Zürich verbietet der Stadt den Versuch einer Spurreduktion an der Bellerivestrasse, die in wenigen Jahren sowieso vorübergehend eintrifft: Die Strasse befindet sich in einem schlechten Zustand und muss saniert werden. Die Kantonspolizei begründet juristisch auf neun Seiten ihr Nein. Sie bemüht dabei zwei Hauptargumente: Einerseits betrachtet sie den Leistungsabbau als zu gross, anderseits bemängelt sie die fehlenden Einsprachemöglichkeiten von betroffenen Anwohner:innen oder angrenzenden Gemeinden. 

Es ist logisch, dass man bei einem Entscheid vor allem jene Argumente festhält, die hier zum Nein führten. Ich habe nicht im Sinne, mich hier in eine juristische Schlacht einzulassen, die erfolgt hoffentlich noch beim angekündigten Rekurs der Stadt Zürich. Darum hier nur zwei Erwägungen: Der Leistungsabbau besteht darin, dass sich die Fahrtzeit im schlimmsten Fall in Stosszeiten um sechs Minuten verlängern könnte (darüber wird der Versuch abgebrochen), gerechnet wird aber von der Stadt mit zwei bis drei Minuten. Für mich bewegt sich dies in der Kategorie, mit der S-Bahn-Nutzer:innen in den Stosszeiten regelmässig konfrontiert sind. Wie die Kantonspolizei die Stadt einschätzt, geht aus folgender Passage hervor: Die Steuerung der Lichtsignalanlagen beeinflusst die Leistungsfähigkeit stark. «Da die LSA (Lichtsignalsteuerung) durch die Stadt Zürich betrieben werden, ist unklar, wie die Phasen eingestellt werden. Eine Gewähr dafür, dass die LSA zugunsten einer möglichst grossen Leistungsfähigkeit betrieben werden, besteht nicht.» Das nennt man bei Strafverfahren Präventivhaft.

Die Begründung für das Nein ist derart klar und absolut, dass sich die Frage nach der Zusammenarbeit stellt. Warum die Kantonspolizei bei einer für sie so klaren Ausgangslage der Stadt nicht schon vor knapp einem Jahr klipp und klar erklärte, sie sage sicher Nein, bleibt ihr Rätsel.

Die Kantonspolizei hätte, – entgegen dem, was sie behauptet, den Versuch durchaus bewilligen können. Nach den Berechnungen der Stadt hält sich der Leistungsabbau und der Zeitverlust in engen Grenzen, und sie gab erst noch die Versicherung ab, den Versuch bei über Erwarten grossem Abbau abzubrechen. Die Kantonspolizei hätte ja diese Grenzen etwas nach unten drücken können. Aber darum ging es ihr ganz offensichtlich nicht. Sie wollte der Stadt gerade in der jetzigen Zeit des Streits um Tempo 30 und Lärmschutz wieder einmal zeigen, wo der Bartli den Most holt.

Ich kann mich noch gut und immer noch wütend an den berühmten Polizeistreit der Nullerjahre erinnern. Ich war Präsident der städtischen SP, als Rita Fuhrer unter dem Vorwand der besseren Organisation der Stadt Zürich die Leitung der Polizei faktisch wegnehmen wollte. Als Esther Maurer als Zürcher Polizeivorsteherin sich dagegen wehrte, kam es zu einem grossen Streit, der medial als Frauenstreit kräftig ausgenutzt wurde, der aber den Kern des Konfliktes so nicht traf. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch viele Genoss:innen fanden, die Stadt solle doch die blöde Polizei hergeben, die doch nur Ärger mache,  wenn sie bei einer Demonstration wieder einmal zu large oder zu rabiat eingegriffen hatte.

Ich bin noch heute der Meinung, dass eine Stadt, die die Verantwortung und auch das Kommando über die Sicherheit abgibt, eine zentrale Aufgabe für das Klima in der Stadt aufgibt und sich das Leben auf die Dauer schwer macht, respektive sich in Abhängigkeiten begibt. Darum ging es dem Kanton auch damals: Er wollte via Polizei eine grössere Kontrolle unter dem Vorwand der Reorganisation des Korps. Der Streit endete mit einem Waffenstillstand, bei dem der Kanton die Kriminalpolizei übernahm, der Stadt einen grossen Entscheidungsraum beliess. Das Fazit heute: Man kann damit leben, aber eine entscheidende Verbesserung gegenüber früher ist es nicht.

Vor allem die Stadt, teils auch die Agglomeration, haben heute ein grosses Problem mit dem Verkehr. Einerseits zwingt die Klimaerwärmung zu einer Reduktion des motorisierten Verkehrs und zu einer Förderung des Langsamverkehrs, in Zürich speziell des Velos. Diese Umschichtung ist nur mit einer Umverteilung von Verkehrsspuren zulasten der Autos und mit dem Abbau zumindest von oberirdischen Parkplätzen möglich. Gleichzeitig herrscht in der Stadt Wohnungsnot. Nicht nur werden gut 100 000 Personen durch übermässigen Verkehrslärm belästigt, sondern auch grosse Neubauten verhindert, weil sie die Lärmschutzbedingungen nicht erfüllen. Derzeit steht Tempo 30 auf vielen Strassen als wichtigstes Mittel zur Lärmdämpfung im Vordergrund. Dagegen laufen vor allem die SVP und die FDP Sturm. Was ihr gutes Recht ist. Sie haben drei Initiativen lanciert, wobei gegen die städtische demokratiepolitisch nichts einzuwenden ist.

Schwieriger wird es mit den kantonalen Initiativen. Weil man offensichtlich befürchtet, in der Stadt zu verlieren, sucht man Hilfe beim Kanton, will via ihn die städtische Verkehrspolitik diktieren. Selbstverständlich lebt die Stadt nicht auf einer Insel, und Ansprüche auf eine Durchfahrt bestehen berechtigt. Die Frage lautet aber: Gibt es zwischen diesen Gütern eine Interessensabwägung oder ist das Durchfahrtsrecht unantastbar? Und vor allem: wer nimmt die Interessensabwägung vor?

Die Kantonspolizei findet, sie entscheide. Sie wird damit nach den bisherigen Äusserungen zu Tempo 30 von den Verantwortlichen der Regierung und wohl auch von einer Mehrheit des Kantonsrats unterstützt. Paradoxerweise von jenen, die immer sehr viel Wert auf den Föderalismus, auf die Rolle der Gemeinde legen. Wenn die Stadt Zürich ihre zentralen Probleme nicht mehr selber lösen darf (was durchaus eine harte innerstädtische Auseinandersetzung zulässt, respektive fast fordert), ist der Föderalismus einfach eine schöne Sonntagspredigt. Wirklich gelebter Föderalismus setzt voraus, dass Unterschiede in der Verkehrspolitik zugelassen werden und in erster Linie von den Betroffenen vor Ort gefällt werden. Das gilt im übrigen auch für einen Teil der Zürcher:innen. Sie müssen akzeptieren, dass das Auto auf dem Land eine andere Bedeutung für die Lebensqualität hat und dass schlecht frequentierter öV auch klimapolitisch keine wirkliche Alternative ist.

Der Entscheid der Kantonspolizei könnte ein neuer Tiefpunkt in der Beziehung zwischen Stadt und Land werden. Dieser Streit liegt wieder im Trend, und notfalls muss die Stadt ihn halt mit aller Härte und Raffinesse aufnehmen.

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