Uniformiert
Erbarmungslos stellt Todd Field in «Tár» bloss, wie der Marsch durch die Institutionen den Kampfgeist abnützt.
Lydia Tár (Cate Blanchett) hats geschafft. Die Aufzählung ihrer Meriten als erster weiblicher Dirigentin und Komponistin nehmen schier kein Ende, bevor die sogenannten Expertenfragen letztlich doch wieder die Abkürzung nehmen: «Sie als Frau …» Noch scheint die unterkühlte Karrierefrau Witz an den Tag legen zu können, doch dies ändert sich im ausgedehnten fiktiven Portrait von Todd Field rasch. Denn Lydia Tár agiert, vom Kämpfen um Anerkennung für ihr Können perfid, aber nachhaltig ihrer Kanten beraubt, wie jedes ihr verhasste Alphatierchen. Sie wurde uniformiert. Während einer Meisterklasse kanzelt sie eine zeitgenössisch achtsamkeitssensible Person mit einer ungeheuerlichen Stringenz ab. So geht zielgenaue Zerstörung. Einer Hoffnung, einer Karriere, einer Person. Todd Field wiederholt während des weiteren Filmverlaufs denselben Effekt in Nuancen. Gegenüber ihrer Lebenspartnerin und ersten Geige im Orchester Sharon Godnow (Nina Hoss) oder der ihr nachgerade hörigen Assistentin Francesca Lentini (Noémie Merlant) wird ihr Verhalten zur Zermürbung. Irgendwann kreuzen sich zwei Geschichten von jungen weiblichen Cello-Hoffnungen: Eine von ihr Fallengelassene springt vom Hochhaus, einer aus Russland geflüchteten verleiht sie soeben Flügel. Indem sie ihre Macht ausnützt. Aber anscheinend nur so weit, als es ihr nicht als Missbrauch vorgehalten werden kann. Todd Field spielt Schach. Mit seiner Figur, die sich durchgesetzt hat und zu glauben scheint, noch dieselbe zu sein wie als juvenile Kämpferin. Und mit dem Publikum, das sich so gerne mit der Hauptfigur identifizieren möchte, indem er es emotional immer weiter in die Distanzierung treibt. Ob es überhaupt möglich wäre, an Társ Stelle innerhalb eines unbarmherzigen Leistungssystems Mensch zu bleiben, ist allein dank des Hoffnungsreflexes noch nicht entschieden. Aber existenziell infrage gestellt. froh.
«Tár» spielt in den Kinos Capitol, Le Paris, Piccadilly, RiffRaff.
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