Unendlich viel geplant

 

Der Zürcher Hauptbahnhof existiert seit 1847. Seither entstanden unzählige Pläne für seinen Um- oder Neubau. Wirklich gebaut wurde nur dreimal, wie aus dem Buch von Werner Huber hervorgeht. Unter anderem, weil beim Bau Stadt, Kanton und die Wirtschaft immer mitbestimmten.

 

Das Buch von Werner Huber, das er am letzten Donnerstagabend mit viel Witz vorstellte, ist für ein wissenschaftliches Buch (Band 6 der Architektur- und Technikgeschichte der Eisenbahnen der Schweiz) insofern eine Seltenheit, als er es ganz alleine schrieb und es erstaunlicherweise das erste Buch über den Hauptbahnhof Zürich ist – obwohl dieses unter Denkmalschutz stehende Gebäude zu den bekanntesten der Schweiz gehört. Für sein Buch nahm der Autor Zugriff auf viele selbstgemachte Fotos und auf das Baugeschichtliche Archiv der Stadt Zürich. Es ist, das sei vorweg gesagt, wunderschön gestaltet; mit vielen Bildern und vom Autor gezeichneten Plänen, aus denen sich beispielsweise der Verlauf der Geleise vom Ursprung bis heute verfolgen lässt. Die Texte schrieb er auch für Nichttechniker verständlich, und er schreckt auch vor eigenen Meinungen nicht zurück. Der einzige Makel aus meiner Sicht: Es ist mitunter fast etwas des Guten zuviel; ob den vielen Details kann der rote Faden verloren gehen. Dafür besitzt das Buch den Vorteil, dass man problemlos ein paar Seiten überspringen kann, wenn einen die abgehandelten Details mässig interessieren – bei mir etwa die Beschreibung von Projekten, die nie realisiert wurden.

Stadtrat André Odermatt betonte an der Buchpräsentation die Wechselwirkungen zwischen Bahnhof und Umgebung, die im Buch ausgiebig zur Sprache kommen. Es beginnt ganz banal: Gebaut wurde er 1847 für die erste Strecke zwischen Baden und Zürich sozusagen am Stadtrand – das Stadtzentrum befand sich am Paradeplatz. Mit dem Bau des Wannerbahnhofs (1871 nach einiger Verspätung) mit der Halle, die noch heute dem Bahnhof sein Gesicht gibt, auch wenn die Züge nicht mehr in diese Halle einfahren, und den zusätzlichen Linien in alle Himmelsrichtungen entstand um den Bahnhof einerseits ein Geschäftsviertel mit den heute noch bestehenden Hotels am Bahnhofplatz und an der Bahnhofstrasse, die nach dem Wannerbahnhof zunächst zögerlich, dann aber rasch und mit behördlichen Bauvorschriften gebaut wurde, gegen die die heutigen Bestimmungen von Rot-Grün mehr als liberal sind. Anderseits entwickelte sich das Limmatquai, und es entstanden Aussersihl und das Industrieviertel.

Das führte unter anderem dazu, dass der Hauptbahnhof nie einen eigentlichen Haupteingang besass: Mal war es eher der Ausgang Richtung Limmatquai, mal eher Richtung Bahnhofstrasse (seit der Verbannung der FussgängerInnen 1970 vom Bahnhofplatz, die seit 1992 wenigstens auf einer Passage wieder geduldet sind, nur noch beschränkt). Heute ist der Bahnhof von allen Seiten zugänglich. Zudem ist er nebst einem Bahn- und Tramzentrum ein solches für den Einkauf, für Büros und bald kommen im Kreis 5 auch noch Wohnungen dazu – auch einige preiswerte, wie Stadtrat André Odermatt etwas übertrieben betonte. Zwar entstehen in den nächsten Jahren am Rand der Geleise in der Lagerstrasse Genossenschaftswohnungen, aber man sollte vorsichtig sein mit solchen Forderungen: Ein Bahnhof mit gut 400 000 Passagieren pro Tag ist nicht unbedingt ein Ort für das Wohnen. Da sind Schulen und Geschäfte mit viel Publikumsverkehr sinnvoller. Zum Geschäft: Viele Neubauten (die letzten Projekte in den 70er-Jahren) scheiterten auch daran, dass die Kosten für die Enteignung von zusätzlichem Raum sehr teuer geworden waren.

 

Vier Phasen

Der Zürcher Hauptbahnhof kennt vier Phasen. Die erste Zeit von 1847 bis 1871 könnte man als Vorphase bezeichnen, die Eisenbahn begann damals erst ihren Vormarsch. So richtig ernst wurde es 1871 mit dem Bau der Wannerhalle, die heute im Prinzip leer sein sollte, es aber selten ist – aber das ist eine andere Geschichte. Bis 1930 mit dem Bau der neuen Querhalle und den 16 neuen Geleisen am Ende der Wannerhalle fuhren die Züge in die alte Halle. Seither blieb der Bahnhof mit Ausnahme des umstrittenen Nordtraktes so bestehen, wie er noch heute steht. Für die vierte Phase mit der S-Bahn vollzogen sich die Änderungen mit dem Museums- und dem Durchgangsbahnhof unterirdisch, in dem auch ein riesiges Einkaufszentrum vorhanden ist. Der Bahnhof war aber schon immer ein Wirtschaftsfaktor, nicht nur in den Restaurants der Familie Candrian. Wobei früher die mit dem Reiseverkehr direkt zusammenhängenden Geschäfte mehr dominierten – auch weil sie besser rentierten. Mit der S-Bahn trat eine Verschiebung der Prioritäten ein: Der Pendlerverkehr gewann im Vergleich zum Fernverkehr deutlich an Gewicht.

Ein Letztes (ausser der ausgiebig beschriebenen Geschichte vom HB-Südwest bis zur Europaallee): Der Bahnhof wurde immer wieder zu klein, weil immer mehr Züge fuhren. Es gab immer wieder Pläne zur Vergrösserung, zur Umstellung auf einen Durchgangsbahnhof, und immer wieder entschieden sich die Verantwortlichen für technische Lösungen, die auf den bestehenden Geleisen eine höhere Kapazität zuliessen. Mit einer Zweiweglokomotive ist der Kopfbahnhof ein kleiner Nachteil, mit besseren Signalen ist eine kürzere Zugfolge möglich. Und vor allem wurde der Universalbahnhof Zürich zu einem reinen Personenbahnhof – die Güter wurden schrittweise ins Limmattal ausgelagert.

Werner Huber: Hauptbahnhof Zürich. Verlag Scheidegger & Spiess 2015, 240 Seiten, 71 Franken.

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