«Das (leer)gekündete Wohnzimmer»: eine Installation am vergangenen Samstag neben dem Lochergut. (Bild: Sergio Scagliola

Unbewilligte wohnpolitische Perspektiven

Die unbewilligte Wohndemo am Samstag polarisiert das politische Zürich – die zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen der Aktionstage finden dabei wenig Platz im wohnpolitischen Diskurs.

Die Stimmung um die unbewilligte Wohndemo am Samstag, den 24. Oktober, ist aufgeheizt. Das hat vielerlei Gründe. Da war einerseits die unbewilligte Palästina-Demo vom vergangenen Samstag in Bern, die ohnehin schon mediales Topthema war. Eine Protestaktion im Büro des Hauseigentümerverbands letzten Freitag, wo Aktivist:innen mit Konfettikanonen aufkreuzten, Plakate aufhingen und Bauschaum versprühten, ist ebenfalls ein gefundenes Fressen für bürgerliche Medien und Parteien in Sachen Polarisierung und Aufregungspotenzial: Die NZZ schreibt von Verwüstung in den Räumlichkeiten des HEV, die SVP und die Mitte sprechen in Fraktionserklärungen im Kantonsrat von einem Angriff auf die Demokratie. Derweil weiss man übrigens beim ‹Tages-Anzeiger›, dass bei der Aktion keine Sachschäden entstanden sind. Und am Samstag ist also Wohndemo – unbewilligt. Bewusst unbewilligt übrigens, auf der Website zur Wohndemo erklären die Organisator:innen: «Abrissbirnen und Luxussanierungen fragen uns schliesslich auch nicht, ob wir das wollen. Wir Bewohner:innen dieser Stadt werden übergangen und verdrängt.» Ebenfalls wird auf das grundsätzliche Recht auf Demonstration verwiesen.

In den Sozialen Medien erläutern die Organisator:innen diesen Entschluss noch etwas präziser. «Wir tragen unsere Anliegen kreativ auf die Strassen und wollen, dass sich alle an der Demo wohl fühlen – jüngere und ältere, Familien mit Kindern, Menschen mit Rollstuhl, Kinderwagen und Velo.» Und weiter: Die Demo soll bunt, laut und kreativ werden, es wird explizit keine Konfrontation gesucht. Bringt Transpis, Fahnen, Schilder und Trompeten!» Dass es ihnen damit ernst ist, stösst in den Medien auf wenig Glauben. Nau.ch titelt in Bezug auf den kommenden Samstag etwa: «Antifa mobilisiert: Wird Zürich am Samstag zum Krawall-Hotspot?»

Buntes Programm an den Aktionstagen

Was innert dieser medialen Polarisierung allerdings unterging, war alles, was um die Wohndemo herum geschieht. Seit gut zehn Tagen veranstalten verschiedenste Gruppen, Kollektive und Aktivist:innen im Rahmen der Aktionstage ein buntes Programm zu diversen Facetten der Wohnkrise. Installationen wurden an mehreren Orten in der Stadt aufgestellt, zum Beispiel am Samstag am Lochergut direkt an der Ecke zur Sihlfeldstrasse, wo ein Sofa, ein Beistelltisch mit Broschüren zur Wohnkrise und Informationen zur wohnpolitischen Situation zum Austausch mit Interessierten in der Sonne einluden – unter dem Namen «Das (leer)gekündete Wohnzimmer». Anstatt Wänden standen Aufsteller um das Wohnzimmer herum, die einen Blick auf die Situation auf dem Wohnungsmarkt werfen: Mit einer Karte voll mit Mietpreisangeboten von den gängigen Plattformen homegate, immoscout24 oder flatfox, die deutlich über dem Durchschnittsmietpreis Zürichs liegen, mit Statistiken zur Entwicklung der hiesigen Mietzinse, zu Leerkündigungen und Verdrängung.

Kritischer Stadtrundgang 

Ebenfalls am vergangenen Samstag fand ein Stadtrundgang mit dem Forum für kritische Soziale Arbeit (Kriso) statt, an dem die Lebensrealitäten jener näher beleuchtet wurde, die im wohnpolitischen Diskurs selten eine Stimme bekommen. Eine Gruppe von ca. 20 Personen traf sich vor dem Sozialzentrum am Helvetiaplatz, wo die Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, die man als Sozialarbeiter:in mitbekommt, weitererzählt wurden. Und auch, wie die Realitäten in Bezug auf Wohnqualität, Wohnfläche und Wohnungswechsel für jene aussehen, die Sozialhilfe erhalten. Eine Station weiter, auf dem Kasernenareal, ging es dann um die Hürden, die Migrant:innen parallel zum Asylverfahren auf dem Wohnungsmarkt überwinden müssen. Etwa in Bezug auf die fehlenden Möglichkeiten, als Non-EU/EFTA-Staatsbürger:in Anteile an einer Genossenschaft haben zu können, oder um die Mär von der Verdrängung durch Migrant:innen, die von Bürgerlichen gerne heraufbeschworen wird. Denn verdrängt werden hauptsächlich Migrant:innen und ältere Menschen. Der zweitletzte Stopp vor dem Abschluss im Kafi Klick war schliesslich vor der Unterführung an der Langstrasse, wo es um Gentrifizierung und Problematiken auf dem Wohnungsmarkt in Bezug auf Suchtkrankheit ging. 

Bei aller Polarisierung, die um die unbewilligte Wohndemo geschieht – inklusive Distanzierung seitens Mieter:innenverband, SP und Grünen – ist das Schweigen um alle Perspektiven, die selbstorganisiert aus der Bevölkerung im Rahmen der Aktionstage in den wohnpolitischen Diskurs gebracht wurden, etwas seltsam. Wichtiger scheint es, bereits im Vorfeld die Stimmung derart aufzuheizen, dass potenzielle Ausschreitungen am Samstag als Politikum relevanter sind als die im Vorfeld eingebrachten wohnpolitischen Perspektiven auf die Zürcher Wohnkrise.