Unbändige Streitlust

Der Zürcher Kantonsrat zoffte sich den ganzen lieben Montag lang. Zuerst über das Universitätsspital, dann über Gewalt. Weiter ging es mit Gutausgebildeten, die Teilzeit arbeiten, mit den Rückkehrzentren und dem Zentrum Lilienberg. 

Der erste Streit fand bereits Ende Woche mit Medienerklärungen statt, nachdem die Kantonsratskommission mit 8:7 Stimmen ein Ja zu den Pistenverlängerungen am Flughafen Kloten beschloss. Die Mehrheitsverhältnisse nach Parteien wären im Rat eigentlich klar: Die Befürworter:innen besitzen eine stabile Mehrheit. Da aber mit Abweichungen von bürgerlichen Vertreter:innen aus dem Unterland und umgekehrt mit solchen aus der GLP zu rechnen ist, kann es noch Überraschungen geben. Inhaltlich geht es um deutlich weniger, als beide Seiten versprechen oder befürchten. Die Verlängerung der beiden Pisten erhöht die Sicherheit, weil Pistenkreuzungen verhindert und Betriebsumstellungen je nach Wetterlage überflüssig werden. Darum gehe es gar nicht in erster Linie, behaupten die Gegner:innen, sondern vor allem um eine Erhöhung der Kapazität. Neu sollen so 70 statt wie bisher maximal 66 Flugbewegungen pro Stunde möglich sein. So viel sind nun vier Bewegungen mehr pro Stunde nicht. Umgekehrt dürfte sich der von den Befürworter:innen versprochene Abbau der Verspätungen vor allem am späten Abend in Grenzen halten. Es gibt zu viele und nicht in erster Linie vom Flughafen abhängige Verspätungsgründe, um das Versprechen sehr ernst zu nehmen.

Bezirksspital Fluntern

Sehr intensiv beschäftigte sich der Rat mit Fraktions- und persönlichen Erklärungen zur Demonstration vom Samstagabend in der Stadt Zürich. Inhaltlich befasst sich Nicole Soland in den Gedanken zur Woche auf Seite 9 damit. Bemerkenswert war, dass es die SVP zum ersten Mal schaffte, am gleichen Tag zum gleichen Thema mit dem gleichen Inhalt gleich zwei Fraktionserklärungen (je eine am Vor- und Nachmittag) zu verlesen und dass der Rat sich auch noch mit seiner Präsidentin Esther Guyer anlegte. Als sie fand, es sei nun genug mit persönlichen Erklärungen zur Demonstration und mit den ordentlichen Geschäften weiterfahren wollte, bremste sie ein Ordnungsantrag. So durften vier weitere Kantonsräte zur Demonstration sagen, was viele vor ihnen bereits gesagt hatten.

Inhaltlich spannender war die vorläufig letzte Runde (möglicherweise kommt es noch zu einem Referendum) im Kampf um das neue Gesetz zum Universitätsspital. Ein Gesetz, das in sehr vielen Punkten einvernehmlich die Kompetenzen der verschiedenen Spitalgremien untereinander und gegen aussen neu und deutlich präziser regelt und insgesamt die Spitalleitung gegenüber dem Spitalrat und den Klinikdirektor:innen stärkt. Bei den Möglichkeiten zu Kooperationen, Zusammenschlüssen und Auslagerungen gingen und gehen die Meinungen auseinander und in einem Punkt zentral: Die Mehrheit will bei einer Auslagerung ab vier Millionen Franken ein fakultatives Referendum ermöglichen, was vor allem für die FDP undenkbar ist. Die Unternehmensführung brauche Handlungsfähigkeit und rasche Entscheide, um sich im Wettbewerb zu behaupten, führte Jörg Kündig in der Begründung zu seinem Rückweisungsantrag aus. «Sie machen aus dem Universitätsspital mit diesem lausigen Gesetz ein Bezirksspital Fluntern.» In diesem Satz fasste FDP-Kantonsrätin und Ärztin Bettina Balmer ihren Ärger zusammen. Ein Ärger, der sich vor allem gegen die SVP und ihre Regierungsrätin Natalie Rickli richtete. Die SVP hatte sich erfrecht, im Verlaufe der Kommissionsarbeit ihre Meinung zu ändern, und Natalie Rickli habe sie zu diesem Wechsel bei der Frage des Referendums ermuntert. Die Gesundheitsdirektorin habe mehr Angst vor dem angedrohten Referendum der SP bei einer ungebremsten Ausgliederungsmöglichkeit als vor der von ihr unerwünschten Notbremse gehabt. Da derzeit intensive Wahlverhandlungen laufen und bürgerliche Parteistrateg:innen die Zusammenarbeit generell fördern möchten, erhielt die SVP dafür auch von der GLP, der EVP und der Mitte viel Tadel. Vor allem musste sie sich den Vorwurf der «unheiligen Allianz» mehrfach anhören. Ein Vorwurf, der so nicht wirklich zutrifft. Ob das den andern und mitunter auch den beiden Fraktionen passt oder nicht: Neben der Klima- und der Finanzallianz existiert im Kantonsrat auch noch eine Staatsbetriebsallianz. Geht es um die Spitäler, die ZKB oder auch die Axpo, ticken SP und SVP ziemlich ähnlich.

Work-Life-Balance

Gegen den Willen der SVP änderte der Kantonsrat das Gewaltschutzgesetz zugunsten der Kinder und Jugendlichen ab. Die Polizei darf sie künftig an eine unabhängige Beratungsstelle verweisen, auch wenn ihre gegeneinander gewalttätigen Eltern dies nicht wollen.

Bei den Streiten um die Situation in den Rückkehrzentren und im Zentrum Lilienberg für Minderjährige ohne Begleitung blieben die Differenzen zwischen dem zuständigen Regierungsrat Mario Fehr und vor allem den Vertreter:innen der Linksparteien bestehen. Einen Erfolg können die kritischen Fragestellerinnen Leandra Columberg (SP), Jasmin Pokerschnig (Grüne) und Anne-
Claude Hensch (AL) verbuchen: Den Jugendlichen geht es seit ihren Interventionen besser als vorher, wenn auch noch nicht gut genug.

Einen sonderbaren Streit brach Marc Bourgeois (FDP) mit seinem Gespür für publikumswirksame Themen vom Zaun. Er verlangt, dass Personen, die ohne Not Teilzeit arbeiten, nur in den Genuss von Subventionen (etwa Krankenkassenprämienverbilligungen oder Kita-Tarife) kommen sollen, wenn sie dazu auch bei einem 100-Prozent-Pensum berechtigt wären. Er will damit verhindern, dass Gutgestellte weniger arbeiten und auf Kosten der Steuerzahler:innen ihre Work-Life-Balance optimieren. Die Linke fiel auf diese Provokation entweder herein oder hatte, wie etwa Melanie Berner (AL) auch Lust zu einem herzhaften Streit. Unternehme man nichts, so Bourgeois und Co., riskiere man abnehmende Steuern und noch grösseren Fachkräftemangel. Er wolle ein Bürokratiemonster (was ist noch anrechenbare Betreuungs- oder Carearbeit, was nur eigene Bequemlichkeit?) aufbauen, die Freiwilligenarbeit erschweren und staatliche Eingriffe bei der Arbeitszeit vornehmen, kam es von der Gegenseite, die dazu negierte, dass es solche Subventionsoptimierer:innen überhaupt gebe. Wir stellen einfach fest: Fast alle Gemeinden und Kantone schliessen derzeit mit Rekordgewinnen ihre Rechnungen ab, weil sie so viele Steuern von natürlichen Personen erhalten wie noch nie. Der Elefant im Raum, den nach Marc Bourgeois viele nicht sehen wollen, ist also lediglich ein Mäuslein.

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