Velorouten und die Entsiegelung von Kleinflächen (statt Möblierung mit Holzbeeten) sind zwei der vier Handlungsfelder, mit denen der Winterthurer Stadtrat den Auftrag der Gegenvorschläge zu den umverkehR-Initiativen umsetzen will. (Bild: Matthias Erzinger)

«Unaufgeregt, sachlich und fachlich fundiert den Auftrag umsetzen»

Am 9 Juni 2024 haben die Winterthurer Stimmberechtigten zwei parlamentarische Gegenvorschläge zu zwei Initiativen von umverkehR, der «Gute Luft-Initiative» und der «Zukunftsinitiative» knapp zugestimmt. Nun hat der Stadtrat die Verordnungen zu deren Umsetzung ab 1. Januar 2025 verabschiedet. Matthias Erzinger sprach mit der Vorsteherin des Departementes Bau und Mobilität, Christa Meier (SP) über die Umsetzungsverordnungen und die Polarisierung in der Verkehrspolitik.

Der Stadtrat hat kürzlich die Verordnungen zur Umsetzung der Gegenvorschläge zu den beiden umverkehR-Initiativen verabschiedet, welche im Juni von den Stimmberechtigten angenommen wurden. Wie will denn nun der Stadtrat vorgehen?

Christa Meier: Grundsätzlich geht es darum, einen Auftrag umzusetzen, den uns die Stimmberechtigten erteilt haben. Dieser Auftrag ist klar formuliert (siehe Kasten). Das wollen wir unaufgeregt, pragmatisch, sachlich und fachlich fundiert tun. Wir haben vier Handlungsfelder definiert, von welchen wir überzeugt sind, dass sie in ihrer Gesamtheit ermöglichen, die gesetzten Ziele zu erreichen.

Das erste ist der Auftrag ans Tiefbauamt, bei ohnehin anstehenden Projekten die Ziele der Verordnung möglichst zu berücksichtigen. Da fallen zum Beispiel die Erneuerungen von Werkleitungen darunter, bei welchen der Strassenraum anschliessend entsprechend den Verordnungen gestaltet wird. Auch zeigen zum Beispiel erste Erfahrungen, dass mit der Einführung der blauen Zonen stadtweit in gewissen Strassenzügen eventuell auch einige Parkfelder abgebaut werden können. Da müssen wir allerdings zuerst genau hinsehen.

Ein zweites Handlungsfeld sind Kleinflächen, die entsiegelt werden können. Da wollen wir auch das lokale Wissen der Bevölkerung abrufen, über Quartiervereine oder generell die Bevölkerung. Wie wir das genau machen, müssen wir nun zuerst planen. Wir haben das bereits mal gemacht bezüglich der Veloinfrastruktur. Da wurden zwar einerseits mehrheitlich Stellen als verbesserungswürdig gemeldet, die wir kannten, aber es sind auch viele Punkte genannt worden, von denen wir nichts wussten. So ähnlich sehen wir das nun bei diesen Kleinflächen.

Das dritte Handlungsfeld sind sogenannte Stadtklimaquartiere: das heisst Wohnquartiere, die nach innen verkehrsberuhigt werden könnten. Auch dazu braucht es Denkarbeit und Gespräche. Vielleicht könnte im Raum Neuwiesen/Wartstrasse ein Pilotprojekt entstehen.

Mit dem vierten Handlungsfeld wird die Umwidmung von MIV-Spuren oder -achsen im Rahmen von Busbevorzugung, Änderungen bei Verkehrsregimes, der Umsetzung der Winterthurer Velorouten oder der Behebung von Schwachstellen für Fuss- und Veloverkehr geprüft werden. Da sehen wir vor allem die bereits geplanten Velorouten als grosses Potenzial, während wir bei den Busspuren schon nahe an der Grenze des Möglichen sind.

Es gibt zum Beispiel in der Grüze riesige versiegelte Parkfelder – besteht da nicht auch ein Potenzial?

Nein, die Verordnungen betreffen lediglich öffentliche Flächen. Entsiegelungen oder Umnutzungen privater Flächen dürfen wir zur Zielerreichung nicht anrechnen. Obwohl wir natürlich im Zusammenhang mit Baugesuchen oder Umnutzungen auch hier schauen, möglichst viel herauszuholen.

«So will die Stadt den Autos Platz wegnehmen» titelte der ‹Landbote› über Ihre Vorschläge. Ausdruck auch der Polarisierung in der Verkehrspolitik?

Ich musste zuerst auch einmal leer schlucken, als ich diesen Titel gelesen haben. Fairerweise muss ich sagen, dass der nachfolgende Artikel dann sehr sachlich ist und die Absichten des Stadtrates richtig wiedergibt. Aber ich habe tatsächlich auch relativ viele Rückmeldungen erhalten, die sich über diesen Titel geärgert haben. Denn es ist natürlich nicht «die Stadt», die den Autos Platz wegnehmen will. Die beiden Gegenvorschläge wurden in einer städtischen Volksabstimmung angenommen, und der Stadtrat hat nun die Aufgabe, sie umzusetzen. Dabei steht nicht die Frage im Zentrum, den Autos Platz wegzunehmen, sondern es geht darum, Flächen zu entsiegeln, den Langsamverkehr zu fördern, die Stadt zukunftstauglich zu gestalten. Auch wenn ich mich im Vorfeld der Abstimmung gegen die beiden Initiativen und die Gegenvorschläge ausgesprochen habe, stehe ich grundsätzlich hinter den Zielen und vor allem nehmen wir als Stadtrat den Auftrag der Stimmberechtigten ernst. 

Die beiden Gegenvorschläge wurden knapp angenommen, die Verkehrspolitik polarisiert und ist emotional stark aufgeladen. Was heisst dies für Ihre Strategie?

Unser Auftrag ist, dass der Verkehr funktioniert. Nochmals: Wir wollen das betont sachlich und fachlich angehen. Das ist nicht immer ganz einfach. Ich hoffe, dass auch die Gegner:innen der beiden Vorlagen etwas von der ständigen Polarisierung wegkommen, den Entscheid akzeptieren und Hand für konstruktive Lösungen bieten. 

Andere Städte wie etwa Paris oder auch Barcelona haben in den letzten Jahren ähnliche Massnahmen, wie sie die beiden Initiativen respektive die Gegenvorschläge fordern, teilweise sehr rasch und effizient umgesetzt. Für Winterthur besteht nun ein eher zurückhaltender Fahrplan. Warum gibt die Stadt nicht mehr Gas?

Unser politisches System sieht ein weitgehendes Mitspracherecht bei der Umsetzung von Massnahmen im Bereich Verkehr und Mobilität vor. Zum Beispiel auch das Verbandsbeschwerderecht. Mit einer Annahme durch die Stimmberechtigten ist zwar der Auftrag erteilt, aber die Umsetzung kann auch durch Einsprachen hinausgezögert werden. In Paris können Anne Hidalgo und ihre Mitarbeitenden gezielt und effizient vorgehen, ohne auf Widerstand Rücksicht nehmen zu müssen. Bei uns müssen wir mit allen beteiligten Kreisen gemeinsam nach tragfähigen Lösungen suchen. Wie schon erwähnt ist dies natürlich nur möglich, wenn eine gewisse Bereitschaft von allen Seiten da ist.

Wie geht es nun weiter?

Wir haben im Budget 2025 einen zusätzlichen Betrag von 350 000 Franken eingestellt, um diese Umsetzung aufzugleisen. Ohne zusätzliche Mittel geht es nicht. In der Budgetdebatte wird sich zeigen, ob wir dazu einen Konsens finden. Ich hoffe sehr, dass auch die Gegner:innen der Initiativen nun das Resultat der Volksabstimmung akzeptieren und bereit sind, den Auftrag umzusetzen.

Was gilt es umzusetzen?

Der parlamentarische Gegenvorschlag zur «Gute-Luft-Initiative» fordert die Umwandlung von 40 000 Quadratmetern befestigten Strassenraums, die bis anhin primär dem motorisierten Individualverkehr dienten oder ihm als Parkflächen zur Verfügung standen, in Grünflächen mit Bäumen bis 2033 und von weiteren 40 000 Quadratmetern bis 2040. Festgelegt wird auch die Pflanzung von 500 zusätzlichen Bäumen im Strassenraum. 
Der Gegenvorschlag zur «Zukunfts-Initiative» fordert die Umwandlung von mindestens 80 000 Quadratmetern Verkehrsfläche bis 2033 und von weiteren 90 000 Quadratmetern bis 2040 in Flächen für den Fussverkehr, den Veloverkehr sowie den öffentlichen Verkehr (öV).