(Bild: Thomas Lenden)

(Un-)Sicherheit

Hinter einer Familiengeschichte kann sich das existenzielle Dasein als universelle Erfahrung auffächern.

Ein Glas eingelegter Zitronen, wie er sie als Kind so gerne gegessen hat, ist das einzige, was aus der Zeit der Familie von Abhishek Thapar auf deren eigenem Gelände im eigenen Haus in Punjab als physische Erinnerung übriggeblieben ist. Zu Beginn des Erzähltheaters «My Home at the Intersection» (Englisch mit dt. Untertiteln) klaubt er vom im Verlauf von 35 Jahren tiefschwarz gewordenen Etwas eine Messerspitze heraus und bietet die Paste dem Publikum zur Kostprobe an. Riecht zitronig, schmeckt nach Curry. Darauf aufbauend beginnt er auf einem Haufen Weizenkörnern, dem ursprünglichen Lebensgaranten im Punjab, die Geschichte seiner Familie mit eigenen Erinnerungen dergestalt dramaturgisch und dramatisch ergänzt zu erzählen, dass daraus eine universelle Erfahrung wird. Angefangen bei seinem Grossvater, der nach der Teilung Indiens in einen hinduistischen Teil und einen muslimischen Teil aus Lahore, dem heutigen Pakistan nach ebendiesem Punjab vertrieben worden war, standen seine Eltern während seiner Kindheit vor der Entscheidung, ihn als Hindu oder als einen Sikh aufzuziehen. Ein jahrhundertelang übliches Vorgehen, vermutlich vergleichbar mit dem zurückliegenden hiesigen, das jüngste Kind einer Kirchenkarriere zu überantworten. Drei Jahre alt war er, als sich entlang einer erneuten künstlichen Menschenseparation zwischen Hindus und Sikhs ein bewaffneter Aufstand zu einem Bürgerkrieg auswuchs und die Familie eine erneute Vertreibung erlebte. In einem gefilmten Reenactment mit Vater, Mutter, Schwester probte Abhishek Thapar (als Sikh wäre der Name auf Singh geändert worden, hätte aber im Erwachsenenalter anhand einer freiwilligen Umorientierung des gläubigen Lebens wieder rückverwandelt werden können) die Rückbesiedelung ihres ehemaligen Fleckchens Eigentum. Spielerisch, denn an den realen Ort zurückzukehren wäre für die Familie viel zu schmerzhaft gewesen, um realisierbar zu sein. Gewisse historische Ereignisse sind in der sehr intim, familiär wirkenden Erzählsituation in einem Halbrund nur sehr rudimentär verstehbar, aber sehr deutlich wird in dieser Arbeit, dass es für die Vertriebenen, Drangsalierten und letztlich glücklicherweise überhaupt Überlebenden nur eine ausserordentlich untergeordnete Rolle spielt, wer sie aus welchen vorgeschobenen Gründen von irgendwo nach irgendwo vertreibt. Was bleibt, ist die Leerstelle, die Lücke, dessen Erinnerns womöglich eines haptischen Beweises wie einer zum schwarzen Klumpen fermentierten eingelegten Zitrone bedarf.

«My Home at the Intersection», 11.4., Theater Stadelhofen, Zürich.