Überleben

Die fantastisch poetischen Möglichkeiten von Pantomime sind hier zweitrangig.

Eine Bühne wie ein Schafott. Ein Leben an der Existenzgrenze. Jan Kaspar Dvorák (1796 – 1846) stand als geduldeter Fremder in Frankreich unter politischer Beobachtung und wurde als Artist ohne besonders herausragende Fähigkeit verspottet. Unter dem Künstlernamen Jean-Gaspard Deburau respektive als dessen Kunstfigur des ewigen Verlierers «Pierrot» oder «l’homme blanc» feierte er so grosse Erfolge, dass er sogar von der Anklage als Totschläger freigesprochen wurde. Max Merker, studierter Pantomime, Téné Ouelgo, ausgebildeter Schauspieler und Emma Murray, trainierte Tänzerin, erzählen in «Old White Clowns» vordergründig dessen Lebensgeschichte. Mit vollem Körpereinsatz, versteht sich. Schliesslich absolvierte das Original über fünfzehn Jahre lang wochentags sieben und an Wochenenden neun Vorstellungen, um sich ein Auskommen zu sichern. Ein regelrechter Elendskünstler, dem die Erfindung der pantomimischen Darstellung nachgesagt wird, die auch eine zauberhafte Komponente bereithält, ohne dabei politische Beherztheit vernachlässigen zu müssen, wie der Film «Marcel Marceau – Die Kunst der Panomime» vorexerziert. Hier hingegen spielt in einer dramaturgisch äusserst geschickten Erzählweise (Martin Bieri) vielmehr die Ebene der brutalen Herablassung der nachrevolutionären Gesellschaft die Hauptrolle. Schon als Zirkuskind erfuhr er, dass geschlagen werden Lacher generiert, und weil er sonst nichts Besonderes konnte, bliebs dabei. Eine Identifikationsfigur für die Verlierer, den Plebs. Heute steht seine tragikomische Geschichte auch als Sinnbild für einen prekären Berufszweig, eine übermannshohe Integrationshürde, eine Art Verdammnis, alles Sekundäre dem Überleben unterzuordnen. Physisches Theater bis über die Schmerzgrenze hinaus, mit gequält verzerrtem Lachen à la Joker und trotzdem auf eine sehr spezifisch sperrig-melodramatische Weise auch nicht eigentlich unpoetisch. Aber halt auch kein Kindergeburtstag.

«Old White Clowns», bis 1.4., Fabriktheater, ZH.

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