Überlagerung
«Richtig» ist als Begriff im Kriegskontext zu dehnbar für einen verlässlichen Kompass.
Pavlo Aries «Antigone in Butscha» ist eine inhaltlich ungeheure Dichte und hinsichtlich ihrer Vielzahl von sich überlagernden, sich auch gegenseitig ausschliessenden menschlichen Eruptionen nachgerade symbolhafte Massenkarambolage von Ohnmachtsbewältigungsversuchen. Die Regie von Stas Zhyrkov besorgt die auf Erträglichkeit bedachte Austarierung von Form und Inhalt, aufdass die Dringlichkeit ankomme. Das alleingültig Richtige, zumal aus der Warte Zivilist:in, stellt sich letztlich als inexistent heraus. Subjektiv für rechtschaffen angesehene Motivationen, etwa einer Kriegsfotografin (Karin Pfammatter und Lena Schwarz), die in einer vom kontextfreien Luftleere individuell nachfühlbaren Trotzreaktion aus einer besonderen Verortung von Schuld des Partners (Michael Neuenschwander) wiewohl die von vornherein überspitzte Zeichnung des Therapeuten erlangen alle in ihrer grundsätzlichen Berechtigung eine harsche Relativierung via den für den gesamten Abend gesetzten Referenzpunkt Krieg. In einem Filmsetting einer nicht bloss spracherschwerten Verständigung zwischen der in Butscha in einem Keller festsitzenden Frau (Viatlina Bibliv) und der Reporterin rücken Fremd- und Eigenwahrnehmung ins Feld und eine doch gehörige Portion Zufall erwirkt, dass Absicht und Wirkung trotz einer Inkongruenz die eindeutige Verortung auf der Skala richtig-falsch verunmöglicht. Durch eine Dauer und die Wiederholung zur Hyperohnmacht angewachsene Wut begünstig im Kontext wiederum nachfühlbare Ausbrüche, die auch als Psychohygiene durchgingen, als Forderung bei Licht betrachtet aber genauso hilflos wie strafbar wären. Das stete Umkreisen des Wunsches, die Ohnmacht irgendwie durch Handeln bändigen zu können und der stets auf dem Fuss folgende relativierende Einschub, daran scheitern zu müssen, erfasst die Komplexität der Gemengelage sagenhaft umfassend. Intellektuell brillant, emotional ernüchternd.
«Antigone in Butscha», bis 28.6., Schauspielhaus, Zürich.