Überforderung

 

Eine narrative Handlung zu suchen, ist vergebene Liebesmüh, dafür klatscht einem Jean-Luc Godard seine 3D-Experimentierform bis über die Schmerzgrenze frontal ins Gesicht. «Adieu au langage» ist der filmische Antifilm per se.

 

Altersmilde ist seine Sache nicht, dann schon eher -zorn. Wenngleich Jean-Luc Godard diesen in Zitaten grosser Philosophen elegant versteckt. Die sprunghafte Reise beginnt mit dem Satz, «wer keine Fantasie hat, flieht sich in die Realität» und endet in Hundegeheul. Dazwischen malt er wie bereits im Vorgänger «Film Socialisme» in Parallelstrukturen von Bild und Ton, jetzt mit der 3D-Technik sogar noch mit Bild und Bild, ein expressives Werk. Mit grosser Wucht und ebensolcher Übertreibung schwingt er den Zweihänder gegen seichte Unterhaltung, stromlinienförmige Erzählweise, das einengende Korsett von Konsumierbarkeit. «Adieu au langage» ist die komplette Überforderung für ein Publikum, das danach so neben sich steht, als wärs nach einem Rausch mit Achterbahnfahrt aufs Trottoir gekotzt worden. Natürlich ist seine konsequente Verweigerungshaltung das genaue Gegenteil von ‹nur blöd› – eine Zumutung bleibt dieser Film aber trotzdem. Jean-Luc Godard treibt es auf die Spitze und erst nachdem sich die Synapsen im Hirn wieder sortiert und sich die Augen von diesem Trip erholt haben, ist man dazu in der Lage, die einzelnen inhaltlichen Stränge miteinander zu verknüpfen und dem Formalen eine ungemeine Modernität zuzugestehen. Der Film ist total auf der Höhe der Zeit, einfach sehr viel radikaler, als was sich andere überhaupt getrauen. Ein ausgedehnter Clip, statt zu Musik zu philosophischen Fragen, die Schnitte sind waghalsiger als überall sonst, ebenso die Bildkomposition und der Umgang mit der Dreidimensionalität. Es ist ein im Wortsinne existenzialistischer Film. Die Themen Tod, Sexualität, Freundschaft, Göttlichkeit und Natur auf der einen, Freiheit, Selbstbestimmung, Mut, Konsequenz und Radikalität auf der anderen Seite bilden einzeln oder als Paarungen Vexierbilder, die intuitiv sehr wohl erfasst werden können, einen handkehrum während des Spektakels dennoch fast in den Wahnsinn treiben. Mehrfach wollt ich fliehen, wurde einem Bann gleich trotzdem irgendwie festgehalten. 06

 

«Audieu au langage», bis 25.3., Kino Xenix, Zürich.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.