- Im Kino
Traumatransfer
So was vermeintlich Natürliches einer menschlichen Entwicklung, wie eigene Bedürfnisse zu formulieren und ihnen auch zur Realisierung zu verhelfen, kennt Karen (Maren Eggert) gar nicht. Als ältere Schwester von Jule (Britta Hammelstein), die im herkömmlich bürgerlichen Sinn noch nie etwas auf die Reihe bekommen hat, sah sich Jule seit jeher in einer imaginierten Verantworung, die sich über die Jahre in ihr Selbstverständnis geschlichen hat und scheinbar unmerklich ihr Leben dominiert. Ein geerbtes Haus will übernommen werden. Muss ja, die Umstände. Ein nicht mehr direkt sie liebender Gatte und Familienvater (Andrea Döhler als Markus) will genauso weiter direkt neben sich lebend ertragen, wie die Entwicklung der verschieden auf die Gemengelage reagierenden Kinder als Phasen schöngeredet werden. Johanna (Lea Zoe Voss) provoziert aufs Ärgste, während sich Leon (Ilja Bultmann) abkapselt. Eine Feier steht im Mittelpunkt von «Der Spatz im Kamin», dem bislang am weitesten ausformulierten Film von Ramon Zürcher, der ein Defizit oder eine Dysfunktion zum zentralen Inhalt hat. Während in den Vorgängerprojekten die Ursachen und Zusammenhänge für ein besonderes Verhalten der Filmfiguren grösstenteils beabsichtigt ominös blieben, nähert er sich diesmal dem allem zugrunde liegenden Abgrund sehr viel näher. Das Begreiflichwerden der einzelnen Motivationen hilft dem Film in jeder Hinsicht, den Status einer Fingerübung zu überwinden. Natürlich eskaliert die Heileweltbemühung, das ist der Konstellation eines Familientreffens im Film quasi immanent. Dieses Mal liefert Ramon Zürcher immer noch sehr sparsam, aber eben gerade genug Information mit, um selbst die vordergründig negativ konnotierten Figuren dergestalt plastisch auszustaffieren, dass ihr Handeln zumindest nachfühlbar wird. Erst darüber ermöglicht sich ein tieferes Verstehen für das Interesse an der Situation der Hauptfigur. froh.
«Der Spatz im Kamin» spielt in den Kinos
Houdini, Le Paris, Piccadilly.