Touch

Auf die Gefahr hin, als Dinosaurier zu gelten, ein Loblied auf die papierene Raschelzeitung! Ich weiss, ich weiss: Wer wirklich wichtig ist, hat keine Zeit, in einem wohlsortierten Café in Zeitungen und Heftli zu schmökern. Und wer ein modernes mobiles Leben führt, hat im vollen Pendelzug auch keinen Platz, ein leintuchgrosses Blatt aufzuschlagen. Aber was entgeht der Menschheit nicht alles, wenn sie ständig nur noch in kleine spiegelnde Kästchen guckt! Und ich meine jetzt nicht den schon oft beklagten Schwund an sozialer Interaktion. Im Gegenteil: Wer eine grosse Zeitung hat, kann sich bequem dahinter verstecken, wenn eine ungewünschte Begegnung droht. Ich trauere auch gewissen filmischen Topoi nach, die uns eine Situation auf einen Schlag klar machen konnten. Etwa: Der Vater sitzt am Küchentisch und liest Zeitung, drumherum ein geschäftiges Familienleben, von dem er keine Notiz nimmt, ausser die Goofen werden laut, dann sorgt seine mit nicht vermuteter Zielsicherheit platzierte Ohrfeige für Ruhe. Da weiss man doch auf Anhieb: Obacht, Patriarch!  Oder der dümmliche Detektiv, der in sein Nachrichtenblatt ein Loch geschnitten hat, um den Übeltäter zu observieren.

 

Aber auch ganz praktische Anwendungen des gedruckten Wortes verbieten sich mit dem Mobiltelefon. Man denke nur an Pappmaché, selbst gebastelte Kügelibahnen und Totschläger für nervige Insekten, allen voran Rossbremsen. An der Rossbremse scheitert die Fliegenklatsche nämlich auch dann, wenn sie ausnahmsweise einmal zur Hand ist – indem sie einfach abbricht. Die nötige Wucht, um dieses ausserordentlich zähe Insekt zu bodigen, schafft nur ein mehrfach gefaltetes, kräftig geklatschtes Druckerzeugnis. Nun gut, man könnte auch ein Holzscheit nehmen, dies wäre jedoch weniger schonend für Haustier, Mensch und Einrichtung… Kurzum: Mit der Versatilität einer Zeitung kann ein Telefon trotz allen seinen Apps und Gimmicks nicht konkurrieren. Dem fehlt da einfach der haptische Touch.

 

Was am einen Ort zu wenig, ist am anderen Ort zu viel. Diese ewigen Touchpads, Touchfelder, Touchscreens… Geht es Ihnen auch so? Meine Finger sind jedenfalls oft nicht kompatibel. Mein Computer etwa wird von meinen Berührungen ganz stigelisinnig. Vor allem, wenn ich maps konsultiere, dreht der Touchpad mit schöner Regelmässigkeit durch: Die Landkarte läuft und läuft und läuft mir einfach immer weiter davon, plötzlich bin ich nicht mehr in Zürich, sondern in Genf, Frankreich, im Atlantik. Statt anzuhalten, reagiert der Pad auf mein herrisches Gedrücke mit Herauszoomen, aus dem Land, dem Kontinent, der Welt hinaus – bis ich von ganz weit oben im Weltall auf vier (vier!) Erden gucke. Das verursacht mir ein ganz ekliges metaphysisches Gruseln (wie es Mani Matter so schön sagte). Oder mein Kochherd: Der weigert sich schlicht, meinen imperativen Gesten Folge zu leisten. Nein, mein Herd gehorcht lieber einem Pulliärmel, Schneidbrett oder Holzlöffel als meinem Finger. Während ich den störrischen Apparat minutenlang massieren muss, um ihn in Gang zu setzen, kann ein Stück Stoff – vorzugsweise Viskose, Wolle oder Seide – ihn derart in Fahrt bringen, dass er mir unbemerkt den Znacht verkohlt. Ich warte sehnlichst darauf, dass ein findiger Kopf einmal ein ganz schlaues Benutzer-Interface erfindet, um den Launen des Touchfeldes zu begegnen. Vielleicht so eine Art Knopf, an dem man drehen kann…

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