Too much information

Es gibt ein Emoji, dessen Bedeutung mir lange unklar war. Dabei hält sich der Smiley eine Hand vor die Augen und eine vor sich. Dieses Symbol steht für «too much information» oder kurz tmi. Zu viel Information also. Das Symbol wird dann verwendet, wenn jemand zu viel Informationen über sich preisgibt, ungefragt über Intimitäten plaudert, unappetitliche Details einer Krankheit preisgibt vielleicht oder sonst etwas Peinliches. Schlicht, etwas, das man nicht hören möchte. Tatsächlich bringe ich dieses Emoji auf, weil es etwas andeutet, was mir auch lange nicht klar war. Dass nämlich mehr Informationen nicht automatisch gut sind.

Als Verfechterin der Aufklärung und als Vertreterin der Medien, aber auch als politisch Aktive ist mir dieser Gedanke eigentlich fremd. Mehr Wissen ist doch grundsätzlich etwas Gutes, mehr Informationen daher doch zwingend auch. Das war auch eine der Verheissungen, die das Internet mit sich brachte: «Information wants to be free», Information will frei sein. Dadurch, dass Information immer einfacher herstell- und verbreitbar ist, kommt also Wissen und Kultur schnell und einfach zu immer mehr Menschen, die dadurch zu informierteren Menschen werden. 

Das ist natürlich nicht ganz so passiert. Weil Information eben auch falsch sein kann, absichtlich oder auch unabsichtlich. Informationen eben auch manipulieren können, verstören oder zerstören. Die deutsche Bildungsexpertin Marina Weisband, früher Sprecherin der Piratenpartei, heute Exponentin der Grünen, hat dazu einen sehenswerten Videoessay gemacht, den sie augenzwinkernd reisserisch mit «Medien sind der Tod der Demokratie» betitelt hat. Das meint sie natürlich nicht, denn im Wesentlichen geht es ihr um eine Medienkompetenzkrise, die sich nicht durch mehr Medienkompetenz lösen lässt. Tatsächlich gibt es eine Vertrauenskrise gegenüber den Medien, gegenüber den Informationen, die Medien oder andere Institutionen verbreiten. Um das zu beheben, fordern viele, dass man mehr Medienkompetenz fördern soll, am besten in der Schule. Dagegen wehrt sich Weisband, weil man zum einen nicht jedes Problem in der Schule lösen kann. Aber vor allem darum, weil es ihrer Meinung nach von einer falschen Grundprämisse ausgeht. Das Problem, so Weisband, sei das Geschäftsmodell, das hinter den Informationsanbietern stehe. Ein Zeitungsverleger will nicht in erster Linie Journalismus verkaufen, sondern Werbung. Das gilt im analogen Sinn natürlich erst recht für die Internet-Plattformen, die gar nicht mehr erst so tun, als wäre ihr Hauptzweck die Verbreitung von Information. Und ein Werbeumfeld wird dann attraktiv, wenn die Menschen dort viel Zeit verbringen, wenn ihre Aufmerksamkeit geweckt wird. Und wie wird diese geweckt? Mit reisserischen Titeln und Aufmachung und insbesondere mit negativen Geschichten. Denn – so Weisband – sei der Mensch so gemacht, dass er negative Informationen (also auch Warnungen) besser aufnehme als positive. Darum hallt eine Beleidung auch länger nach als ein Kompliment. Und darum wird man sich eher ein Video mit dem Titel «Medien sind der Tod der Demokratie» ansehen als eines, das mit «Vorschläge für ein besseres Mediensystem» betitelt wurde. All diese Tendenzen werden durch Algorithmen noch (bewusst) beschleunigt und akzentuiert. Viele der sozialen Medien sind von harmlosen Austauschforen zu Radikalisierungsmaschinen geworden, allen voran X, vormals Twitter. Aber Weisband ist nicht nur negativ: Wir stehen am Anfang einer Aufklärungsbewegung, meint sie. Denn jede neue Technologie sei zu Beginn auch missbraucht worden, haben aber längerfristig zu mehr Aufklärung und mehr Demokratie geführt. Weisband plädiert denn auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für nicht gewinnorientierten Journalismus.

Informationssysteme stehen auch im Zentrum von Yuval Noah Hariris Buch «Nexus» (siehe auch Besprechung in der letzten Buchbeilage). Er kritisiert gleich zu Beginn die Prämisse, dass mehr Informationen automatisch etwas Gutes sind. Die Vorstellung, dass Informationssysteme dazu gemacht sind, die Wahrheit zu verbreiten und damit zu Weisheit und Erkenntnis führen, sei naiv. Denn Informationssysteme transportieren nicht nur die Wahrheit, sondern auch Ordnungssysteme und damit letztlich Macht. Als Beispiel bringt er unter anderem den Buchdruck. Dieser hat tatsächlich längerfristig die Aufklärung verbreitet. Aber was er zuerst ermöglichte, war die Hexenverfolgung. Einer der ersten Bestseller war nämlich der «Hexenhammer» des deutschen Theologen und Inquisitors Kramer, der damit lokalen Aberglauben in weite Gebiete brachte und damit zehntausenden von Menschen, in der Mehrheit Frauen, das Leben kostete. Ebenfalls blutig waren die Religionskriege, die durch den Buchdruck auch erst ermöglicht wurden. Denn Martin Luthers Schriften hätten ohne Buchdruck gar nicht so weit verbreitet werden können. Massenmedien ermöglichen nicht nur die Demokratie, sie ermöglichten auch totalitäre Systeme. Denn ohne sie ist eine Durchdringung der Ideologie in alle Lebensbereiche gar nicht möglich. Es brauche Systeme, die die Fähigkeit hätten, sich selber zu korrigieren, was in der Wissenschaft der Fall sei – bei freien Medien und der Demokratie auch. Das kann aber auf Kosten von Ordnung und Stabilität gehen. 

Seit Jahren engagiere ich mich politisch und schreibend für eine Medienförderung. Denn die Medien sind bei aller Kritik tatsächlich wichtige Informationsquellen, und wenn sie eben frei sind und eine gewisse Konkurrenz haben, auch zu einer Selbstkorrektur fähig. Die Aussichten stehen nicht sonderlich gut. Die zuständige Ständeratskommission hat zwar einem Ausbau der indirekten Medienförderung zugstimmt, also der Verbilligung der Posttaxentarife für Printmedien (das P.S. würde davon profitieren), aber nicht der Motion, die eine kanalunabhängige Medienförderung fordert, was es ermöglichen würde, auch Online-Medien zu unterstützen. Das ist unerfreulich, weil man damit dem Journalismus die Entwicklungsperspektive nimmt. Lokalblätter werden also noch unterstützt, bis die letzte die Lichter löscht. Das ist zwar nicht falsch, aber eben auch nicht richtig.

Vielleicht muss man aber tatsächlich abkommen davon, ein System zu fördern, das letztlich gar nicht Journalismus verkaufen will, sondern Werbung. Wir müssten eigentlich in erster Linie in den nichtgewinnorientierten Journalismus investieren, allen voran natürlich auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Damit wir wenigstens ein paar Kanäle haben, die vielleicht tatsächlich versuchen, die Wahrheit und damit auch die Erkenntnis zu transportieren. Was natürlich nicht heisst, dass das immer gelingt. Und vielleicht gelingt das auch nur, wenn man aufhört, sich an das Alte zu klammern. Aber sicher bin ich mir noch nicht – ich brauche wohl mehr Informationen.