«The Game» – ein menschenunwürdiges Spiel
von Céline Widmer, Cédric Wermuth und Fabian Molina
Die Bilder und Berichte, die uns in jüngster Zeit von der griechisch-türkischen Grenze erreicht haben, zeigen eine unglaubliche humanitäre wie auch politische Katastrophe.
Flüchtlinge werden explizit zum Spielball der internationalen Politik. Erdogan schickt mit erpresserischer Absicht die Schutz suchenden Menschen auf den Weg nach Griechenland, doch dort werden sie mit massiver Gewalt am Grenzübertritt gehindert. Die Bilder von Frauen und Kindern, die an der EU-Aussengrenze vor Tränengas flüchten, oder die Berichte, wonach auf Flüchtlinge geschossen wurde, sind unfassbar.
Neue Balkanroute
Die aktuelle Krise wird auch die Situation auf der Balkanroute verschärfen. Obwohl diese 2016 offiziell geschlossen wurde und über Serbien und Ungarn praktisch kein Durchkommen mehr möglich ist, suchen immer noch viele Flüchtlinge über die Balkanstaaten den Weg nach Mittel- und Nordeuropa. Die Fluchtwege verschoben sich weiter westlich und somit zentral über Bosnien-Herzegowina (siehe Bild). Dort sind mittlerweile am meisten Flüchtlinge in dieser Region registriert.
Die Flüchtlingskrise in Bosnien-Herzegowina erreichte Ende letzten Jahres international traurige Berühmtheit, weil tausende MigrantInnen unter elenden Verhältnissen an der kroatischen Grenze ausharrten, etwa in einem improvisierten Camp auf einer ehemaligen Müllhalde (P.S. berichtete). Mittlerweile haben die bosnischen Behörden das viel kritisierte Flüchtlingslager geschlossen.
Um uns ein Bild der aktuellen Situation machen zu können, reisten wir diesen Februar zusammen mit dem Aargauer Hilfswerk «Help Now» nach Sarajevo. Dort konnten wir zwei Camps besuchen, in denen mittlerweile viele Flüchtlinge untergebracht wurden. Es ist offensichtlich: die Kapazitäten reichen schon jetzt nicht aus. Mit dem Frühling und den Entwicklungen in Griechenland und der Türkei werden noch viel mehr Menschen auf dieser neuen Balkanroute unterwegs sein.
«Schutz» der Schengen-Aussengrenze mit verheerenden Folgen
Die Flüchtlinge in den Camps in Sarajevo versuchen, zu Fuss über die Grenze nach Kroatien zu gelangen, um von da weiter nach Slowenien und dann vielleicht nach Deutschland zu kommen. An der Grenze werden sie jeweils von der kroatischen Polizei, die hier für den «Schutz» der Schengen-Aussengrenze zuständig ist, mit Gewalt am Grenzübertritt gehindert. Die Menschen kehren, manchmal körperlich versehrt, zurück in die Camps in Sarajevo, von wo aus sie nach einigen Tagen «das Spiel» erneut versuchen.
Dieses menschenunwürdige Spiel – alle nennen es «The Game» – steht sinnbildlich für die Flüchtlingsschutzkrise in Europa und offenbart einen verstörenden Mechanismus: Die Flüchtlingslager in Bosnien-Herzegowina werden hauptsächlich von der EU finanziert. Sie bieten den Menschen zumindest teilweise medizinische Versorgung und Verpflegung. Gleichzeitig ist es – ganz vereinfacht gesagt – die EU, die diese Menschen durch die gewalttätigen Push-Backs an ihrer Aussengrenze in dieses «Spiel» bringt. Die Verantwortung einfach auf die EU abzuschieben, greift aber zu kurz: Es geht hier um den Schengen-Raum, und dazu gehört auch die Schweiz.
Ähnliche Probleme
Die Fragen, die sich migrationspolitisch z.B. in Bosnien-Herzegowina stellen, sind von einer anderen Dringlichkeit, aber im Grundsatz mit jenen hier in der Schweiz vergleichbar: Wo können Flüchtlingsunterkünfte gebaut werden? Die Diskussion darum, an welchem Ort ein Asylzentrum gebaut werden kann, bzw. wo es am wenigsten Widerstand gibt, kennen wir in der Schweiz leider genauso. Auch kritisieren NGO, dass in den Flüchtlingscamps in Sarajevo die Unterbringung nicht menschenwürdig sei. Natürlich sind die Asylzentren des Bundes hier in der Schweiz nicht direkt vergleichbar mit den Camps, die wir in Sarajevo gesehen haben. Aber die angemessene Unterbringung von Schutzsuchenden ist auch in der Schweiz ein Problem. So hat kürzlich der Stadtzürcher Sozialvorsteher Raphael Golta den Betrieb des Bundesasylzentrums auf dem Duttweiler-Areal als menschenunwürdig kritisiert.
Die Schweiz in der Verantwortung
Die Situationen an der bosnisch-kroatischen Grenze und in ungleich grösserer Dimension aktuell an der türkisch-griechischen Grenze zeigen, dass die europäische und somit auch unsere Migrationspolitik versagt hat und die internationale Staatengemeinschaft dringend neue Lösungen finden muss. Auch die Schweiz kann und muss Verantwortung übernehmen. Das mindeste, was wir tun können, ist zumindest die Kapazitäten unserer Aufnahmezentren auszulasten. Zum Beispiel, indem jetzt Menschen von den griechischen Inseln direkt in die Schweiz geholt werden, damit ihnen hier ein ordentliches Asylverfahren gewährleistet werden kann. Längerfristig muss sich die Schweiz für eine neue, der Realität entsprechende Definition von Flüchtlingen und für neue Schutzmechanismen einsetzen. Ein grosser Teil der Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina hat zum Beispiel praktisch keine Aussicht auf Asyl im Schengen-Raum, so kommt ein grosser Teil aus Pakistan. Trotzdem sind sie auf der Flucht. Das System der Abschottung ist menschenrechtswidrig und kann unter keinen Umständen gerechtfertigt werden. Dies zeigen die Entwicklungen auf der Balkanroute und die jüngsten Geschehnisse an griechisch-türkischen Grenze in aller Deutlichkeit.