Supersonntag

Selten war ein Abstimmungssonntag so erfreulich wie der letzte. Um ein Haar wäre die Sensation perfekt gewesen und die Bevölkerung hätte auch noch die Kampfjets abstürzen lassen. Nur ein paar tausend Stimmen lagen die beiden Lager auseinander: Zum Schluss reichte es knapp für ein Ja. 50,1 Prozent der Bevölkerung gaben grünes Licht für die Beschaffung von Kampfjets. Die Schweiz stimmte mit 61,7 Prozent klar Nein gegen die Begrenzungsinitiative der SVP. Ja sagten vier Kantone: Appenzell Innerrhoden, Schwyz, Glarus und Tessin. Das Jagdgesetz wurde mit 51,9 Prozent der Stimmen abgelehnt. Überraschend deutlich wurde es bei den Kinderabzügen. In den Umfragen zuvor hatte es noch ausgesehen, als würde es knapp werden, am Schluss war es ganz klar: 63,2 Prozent und alle Kantone ausser Tessin und Genf sagten klar Nein. Ein klarer Fall war auch der Vaterschaftsurlaub, hier sagten 60,3 Prozent der Abstimmenden Ja. Ein Nein gab es aus der Inner- und der Ostschweiz, in der Romandie war die Zustimmung überwältigend, hier sagten beispielsweise im Kanton Waadt 81,6 Prozent Ja. Das zeigt auch, wo wirklich ein Potenzial für weitergehende Initiativen liegt. Während im Moment auf nationaler Ebene ein Schönheitswettkampf für die Lancierung einer Initiative tobt, wäre es realpolitisch wohl am erfolgversprechendsten, in den Westschweizer Kantonen Fakten zu schaffen. So wie es im Moment auch im Bereich der Mindestlöhne passiert. Hier hat der Kanton Genf einer Initiative für einen Mindestlohn von 23 Franken zugestimmt. 

 

Wie kam es zu diesen Erfolgen? Sicher ein Faktor spielte die hohe Stimmbeteiligung und Mobilisierung in den Städten. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Der ehemalige SP-Präsident Peter Bodenmann vermutet in einem Interview mit der ‹bz Basel›, dass die Corona-Krise einen Einfluss hatte: «In der Corona-Krise ist der Staat wichtiger geworden. Ein Grossteil der Bevölkerung will mehr Schutz durch den Staat.» Politgeograph Michael Hermann glaubt, dass die Entwicklung schon vor dem Corona-Virus angefangen habe, wie er dem ‹Tages-Anzeiger› gegenüber ausführte: «Die Schweiz ist linksliberaler geworden – aber nicht erst im Corona-Jahr. Wir befinden uns gesellschaftspolitisch im Aufbruch.» Das habe sich schon bei den Wahlen im vergangenen Jahr gezeigt. Einige JournalistInnen sehen diesen Abstimmungssonntag vor allem als Sieg der GLP, deren Parolen dem Abstimmungsresultat entsprochen haben. Peter Bodenmann meint hierzu: «Man kann aus einer Kirchenmaus keinen Tiger machen. Wahr ist nur, sie haben uns den Kampfjet eingebrockt.» Tatsächlich zeigten Nachwahlbefragungen, dass die GLP-WählerInnen der Ja-Parole nur teilweise gefolgt sind. Laut Nachbefragung, die von ‹20 Minuten/Tamedia› in Auftrag gegeben wurd, stimmten 60 Prozent der GLP-WählerInnen gegen den Kampfjet. Dies erstaunt auch kaum, denn intellektuell ist der Schwenk vom Gripen-Nein zum Kampfjet-Ja nur schwer nachvollziehbar. Möglicherweise hat die urbanere, gesellschaftspolitisch offenere GLP aber tatsächlich eine Rolle eingenommen, die früher eher CVP oder FDP innehatten: jene des entscheidenden Züngleins an der Waage und des Stimmungsbarometers. Das sieht auch Politologe Claude Longchamp gegenüber dem ‹Tages-Anzeiger› so: «Heute gibt auch die GLP den Ausschlag dafür, ob eine Vorlage durchkommt oder nicht.» Dass die Bevölkerung gerade in gesellschaftspolitischen Fragen aufgeschlossener wird, lässt auch für eine Abstimmung zur Ehe für alle hoffen.

 

Die GegnerInnen der Kampfjetbeschaffung wittern aufgrund des knappen Resultats eine neue Chance. Sie überlegen sich, eine Volksinitiative gegen die Beschaffung neuer Kampfjets zu lancieren. Hier erhofft man sich beispielsweise Widerstand, wenn der Beschaffungsentscheid zugunsten der amerikanischen F-35 ausfallen würde. Dort würde dann argumentiert, dass dies neutralitätspolitisch schwierig sei, weil die Schweiz dann sehr abhängig von den USA würde. Mit diesen Bedenken könnten auch Personen angesprochen werden, die eher armeefreundlich sind. Gegen eine Initiative spricht, dass eine Wiederholung einer Abstimmung – siehe auch die Stadionabstimmung in der Stadt Zürich – selten erfolgreich ist, weil sie eher als Zwängerei angesehen wird. 

 

Die Nachbefragung zeigte nicht nur einen Unterschied im Alter oder nach Stadt und Land, sondern auch einen bei den Geschlechtern. Frauen haben den Kampfjet abgelehnt und auch das neue Jagdgesetz abgeschossen. Politologe Lukas Golder erklärt den Geschlechterunterschied auf SRF so, dass Frauen eine andere Vorstellung von Sicherheit hätten und gegenüber Risikotechnologien wie der Atomkraft skeptischer sind. Das mag so sein, ist aber vermutlich auch ein Frage der politischen Prioritäten. Frauen hören gerade von bürgerlicher Seite immer wieder – zuletzt auch beispielsweise beim Vaterschaftsurlaub –, dass für familien- oder gleichstellungspolitische Anliegen kein Geld vorhanden sei. Und sei es auch nur eine vergleichsweise geringe Summe. Wenn man dann gleichzeitig keine Kosten scheut, um ein eher unwahrscheinliches Szenario wie einen Luftangriff abzudecken, aber kein Geld ausgibt, um alltäglichen Problemen wie dem Mangel an zahlbarer Kinderbetreuung zu begegnen, dann löst dies auch Abwehrreflexe aus. 

 

An verschiedenen Orten wurde auch gewählt. Einen Corona-Effekt liess sich da nicht feststellen, es war eher die Fortschreibung des Trends vom letzten Jahr: Grüne und Grünliberale gewinnen, Verlierer sind FDP, SVP und SP. In Schaffhausen gewannen die Grünen drei Sitze im Parlament, davon zwei für die Jungen Grünen, die GLP gewann einen. Die SP verlor zwei, davon einen der Juso. Genauso erging es der FDP, die ebenfalls zwei Sitze verlor, einen davon von den Jungfreisinnigen. Die SVP verlor einen Sitz. Im St. Galler Stadtpräsidiumswahlkampf ist die SP-Stadträtin Maria Pappa in der Pole-Position, im Parlament verlor die SP einen Sitz, der allerdings kompensiert wird durch einen Sitzgewinn der Juso. Die FDP verliert zwei, CVP und SVP je einen Sitz, die GLP kann insgesamt drei Sitze gewinnen, davon einen der Jungen GLP, die Grünen gewannen drei Sitze, allerdings verloren die Jungen Grünen zwei. In Biel konnte sich die rotgrüne Mehrheit in der Stadtexekutive behaupten. Im Stadtparlament gewannen ebenfalls die Linken, die Grünen holten zwei Sitze, Juso, Passerelle und PDA je einen. Auch die GLP konnte einen Sitzgewinn verbuchen. Verlierer waren FDP und SVP mit je zwei Sitzen. Auch im Churer Stadtparlament gewann die GLP einen Sitz. In Davos ist SP-Mann Philip Willhelm in knapper Führung zur Nachfolge als Landammann, in der Stadt Wil kann Dario Sulzer noch auf das Stadtpräsidium hoffen. Er hatte von allen bisherigen StadträtInnen das beste Resultat erzielt, im Rennen ums Stadtpräsidium liegt allerdings Hans Mäder (CVP) vorne. 

 

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