- Post Scriptum
Süssigkeiten sprengen
Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe eine Version des Spiels «Candy Crush» auf meinem Handy installiert. Es gibt kein Entrinnen.
Das Spielprinzip ist nicht allzu kompliziert: Auf einem Spielfeld voller verschiedenfarbiger Bonbons versucht man, drei oder mehr gleichfarbige Bonbons nebeneinander anzuordnen. Kriegt man drei in eine Reihe, explodieren sie und verschwinden. Bei mehr als drei entstehen zusätzlich «Booster»-Bonbons, die je nach Form unterschiedlich weitere Bonbons wegsprengen, beispielsweise alle in einer Reihe, alle direkt darum herum, oder alle einer bestimmten Farbe. Kombiniert man zwei Booster, vervielfachen sich ihre Kräfte. Daneben gibt es Felder, die quasi die Aufgaben definieren, etwa Honig mit versteckten Gummibären dahinter oder Sirupflaschen. Durch geschicktes Anordnen der Bonbons und Kombinieren der Booster müssen dann beispielsweise alle Bären gefunden oder alle Flaschen gesprengt werden, um ein Level zu erledigen. Schaffe ich ein Level nicht mit der vorgegebenen Anzahl Züge, kann ich von vorne anfangen, aber nur so lange, bis meine Leben aufgebraucht sind – dann muss ich eine halbe Stunde auf ein neues Leben warten.
So weit, so klar. Das Spiel enthält aber auch diverse Belohnungssysteme: Schaffe ich etwa eine Anzahl Level im ersten Versuch, erhalte ich zusätzliche Booster, die ich zu Beginn der Level einsetzen kann. Schaffe ich fünfzehn Level schneller als fünf andere Spielende, bekomme ich Goldbarren, mit denen ich mir zusätzliche Züge oder weitere Leben erwerben kann. Und natürlich sind diese Goodies auch gegen Geld zu kaufen, von etwas wollen die Entwickler:innen des Spiels ja leben. Mit genügend Boostern und Goldbarren wird das Spielen wesentlich entspannter, ich kann die Aufgaben einfacher erfüllen, öfter auch im ersten Versuch, und komme damit an noch mehr Booster. So kann ich schneller spielen als meine Konkurrenz, und mir zusätzliche Goldbarren verdienen. Habe ich Glück und zwei mächtige Booster liegen zu Beginn des Levels nebeneinander, kann ich diese kombinieren, um im besten Fall gleich das ganze Spielfeld mit einem Zug zu räumen. Und schleichend ändert sich das Gefühl beim Spielen: Statt konzentriert und möglichst geschickt Lösungen zu finden, gerate ich in einen Rausch, Level um Level einfach wegzusprengen.
Damit wird das Spiel zu einer Metapher auf die kapitalistische Gesellschaft: Alle haben auf den ersten Blick die gleiche Aufgabe zu lösen, aber wer genügend Ressourcen erarbeitet hat, hat es dabei wesentlich leichter – und wer es sich leisten kann, Ressourcen dazu zu kaufen, muss sie sich gar nicht erst erarbeiten. Etwas Glück ist auch dabei – wenn dieses fehlt, hilft kein Fleiss und kein Können mehr, nur noch Geld kann den Absturz verhindern. Wenn es einmal läuft, gerät man in einen Rausch, seine Ressourcen zu vermehren und seine Gegner:innen zu überflügeln. Genau so stelle ich mir den Finanzmarkt vor: als einen Rausch, aus etwas viel und aus viel immer noch mehr zu machen. Fleiss und Geschick sind dabei zu Beginn wesentliche Stärken, doch wer genügend Ressourcen einsetzen kann, kommt auch ohne diese Stärken voran.
So habe ich mich in diesen Rausch gespielt, und wenn es gerade nicht lief, halt ein paar Booster, ein paar Leben dazu gekauft. Erst für einen Franken, dann für fünf. Und etwas Kokain, um den Druck auszuhalten. Um meine Serien nicht abreissen zu lassen, habe ich meinen Job vernachlässigt. Das Gewinnen ist Mal für Mal der bessere Lohn als jener für ehrliche Arbeit. Ich habe dann auch meine Stelle als hochbezahlter P.S.-Kolumnist verloren, und als das ganze Geld verboostert war, landete ich auf der Strasse, wo mir glücklicherweise das Handy gestohlen wurde. Nach jahrelanger Therapie bin ich nun geläutert und mache mich demnächst selbstständig als Coach für Spielsüchtige und Anleger:innen.
Nein, natürlich habe ich das Spiel wieder gelöscht, nachdem es mir eine gute Woche lang den Schlaf geraubt hatte. Aus der Sucht gibt es glücklicherweise ein Entrinnen.