Strafaktion abgeblasen
Der Zürcher Gemeinderat hat eine Motion der Bürgerlichen abgelehnt, die den Subventionsvertrag mit dem Theater Neumarkt kündigen wollten.
Die Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend startete mit Fraktionserklärungen der GLP und der CVP zum Koch-Areal. Eine weitere Fraktionserklärung verlas Ezgi Akyol für die AL; Thema war die Verhandlung vor dem Bezirksgericht vom kommenden Montag, an der es um den Vorwurf des «Racial Profiling» anlässlich einer Polizeikontrolle im Zürcher Hauptbahnhof geht. Auch ein Rahmenkredit zuhanden des EWZ für Solardienstleistungen und die Diskussion der Antwort auf die Interpellation von Christine Seidler (SP) und 51 Mitunterzeichnenden zur Sammlung Bührle im Zürcher Kunsthaus gaben zu reden. Die Hauptvorstellung des Abends war jedoch dem Theater Neumarkt gewidmet: Zu debattieren galt es über eine Motion der SVP-, FDP- und CVP-Fraktion «betreffend Theater Neumarkt AG, Kündigung des Subventionsvertrags auf den nächstmöglichen Termin».
Severin Pflüger (FDP) begründete die Motion. Sie sei zwar aus einem bestimmten Anlass heraus entstanden – der, auch im Rat, schon vieldiskutierten Aktion «ent-köppeln» –, habe aber nichtsdestotrotz einen tieferen Grund und sei deshalb «keine Strafaktion». Mit dem «tieferen Grund» meinte er den Artikel in der NZZ vom Mittwoch mit dem reisserischen Titel «Neumarkt-Theater soll geopfert werden». Darin berichtete die Zeitung von einem vertraulichen Gutachten, das vorschlage, das Theater Neumarkt zu schliessen und dessen Subventionen von jährlich 5,4 Millionen Franken auf das Theater Gessnerallee zu überschreiben. Pflüger stellte fest, in Zürich herrsche ein «Überangebot» an Theatern und Theatervorführungen, während gleichzeitig die Zuschauerzahlen zurückgingen. Das Schlimme daran sei, dass die Stadt, indem sie Geld in diese zu vielen Theater stecke, zu wenig Möglichkeiten habe, um Geld für die ‹Kleinen› freizuspielen wie etwa freie Tanztheatertruppen. Unter den zahlreichen «Häusern mit viel Beton» sei das Neumarkt das schwächste. Er wiederholte, seine Fraktion wolle niemanden bestrafen – «obwohl die rote Linie natürlich überschritten ist». Zum Schluss seines Votums warf er Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) noch vor, sie hätte die unterdessen angekündigte grosse «Auslegeordnung» zur Tanz- und Theaterszene schon längst vornehmen können, doch sie ziehe es vor, diese «über die Wahlen hinaus zu verschleppen».
«Ich will keine Zensur»
Nach diesem Gruss vom aktuellen Nicht-Wahlkampf der FDP hatte Corine Mauch das Wort; sie begann mit dem Verweis auf den Artikel, der – «welch ein Zufall!» – selbentags in der NZZ erschienen sei, und stellte klar, er basiere auf einem «vertraulichen Arbeitspapier, das durch eine Indiskretion zur Zeitung gelangt ist». Das Papier gebe den Gedanken- und Ideenaustausch zwischen einem ehemaligen Mitarbeiter und einem externen Experten wieder. Es habe nie offiziellen Status gehabt und sei auch nicht weiterverfolgt worden. Dass vor dem Erarbeiten einer Gesamtanalyse der Tanz- und Theaterszene auch solche Arbeitspapiere erstellt würden, sei ein normaler Vorgang. Corine Mauch schob nach, sie habe die «persönlichkeitsverletzende Aktion» des Theaters, die der aktuellen «Strafaktion» zugrunde liege, verurteilt. Die Arbeit an der Gesamtanalyse komme derweil planmässig voran, und die Motion sei abzulehnen.
Dem pflichtete Christina Hug (Grüne) bei: Pflüger habe sie nicht überzeugt; es sei denjenigen, welche die Motion eingereicht hätten, jetzt wohl «ein bisschen peinlich, dass sie sich zu sowas haben hinreissen lassen. Und ein bisschen lächerlich ist es auch, dass jetzt noch andere Gründe herhalten müssen wie etwa der Zuschauerrückgang, den es gar nicht gibt…». Ob die Arbeit des Neumarkts einem gefalle oder nicht, ob andere dort ebenso «wunderbares Theater» erlebt hätten wie sie selbst, sei nicht das Thema, fügte sie an: «Wohin würde das führen, wenn wir jedes Mal mit dem Streichen der Subventionen drohten, wenn uns etwas nicht passt?» Sie wolle «keine Zensur», schloss Christina Hug. Dass den MotionärInnen etwas peinlich sei, treffe auf ihn und seine SVP entschieden nicht zu, entgegnete ihr Daniel Regli: «Wir hätten das Neumarkt schon längst geschlossen. Es macht linkes, destruktives Unterhosentheater.» Dem Neumarkt müsse man jetzt «den Stecker ziehen». Natürlich sei das eine Strafaktion, sagte er an Corine Mauch gerichtet, «es gibt Taten, die eine Strafe verdienen» – und die Aktion «ent-köppeln», bei der man Roger Köppel den Tod habe wünschen können, gehöre dazu.
Mark Richli (SP) hatte für das «doppelte ‹politics by newspaper›» der FDP und den «neuen Schreiber der NZZ, der sich offensichtlich beweisen muss», nichts übrig: «Scharf schiessen kann er, nur halt faktenfrei.» Ann-Catherine Nabholz (GLP) befand, die Tatsache, dass eine Inszenierung am Neumarkt die Grenzen der künstlerischen Freiheit überschritten habe, rechtfertige die Kündigung nicht. Dagegen, dass die Zürcher Theaterlandschaft von Grund auf untersucht werde, hätten die Grünliberalen jedoch nichts. Eine solche hätten sie nämlich bereits per Motion gefordert – allerdings habe die FDP diese nicht unterschrieben…
Auch ihre AL-Fraktion verstehe die Motion als Strafaktion und lehne sie ab, sagte Rosa Maino. Die SVP sei «total konsequent», sei sie doch «gegen alles», während die FDP sich «seit längerem kulturpolitisch zu positionieren versucht – wobei bis jetzt nur klar ist, dass Schauspielhaus, Tonhalle und Kunsthaus unangetastet bleiben müssen, weil dort ihre Klientel verkehrt». Und ihre Fraktionskollegin Andrea Leitner Verhoeven sagte, die Bürgerlichen forderten «voller Emotionen den Tod des Theaters Neumarkt – das erinnert mich an die Königin in ‹Alice im Wunderland›, die immer gleich ‹Kopf ab!› brüllt». Ihre «absurden Proteste» liessen tief blicken; die Bürgerlichen hätten noch nicht gemerkt, dass «Kultur nicht nur dafür da ist, die Reichen und Schönen zu unterhalten, und es nicht mehr einen Herrscher gibt, ders zahlt». Und sie gab gleich noch zu, während der Aktion «ent-köppeln» im Internet «mehrmals die un-schlimmste Strafe für Köppel» angeklickt zu haben, einer Aktion, die sie mit der «guten alten Fasnacht» verglich, wo «für einmal die Untertanen dem König sagen, wo’s langgeht».
Nach einer ausführlichen Debatte mit durchaus theatralischen Zügen, in der auch noch Urs Fehr (SVP) und Niklaus Scherr (AL) aneinandergerieten beziehungsweise sich anschrieen, ging die Motion erwartungsgemäss bachab: 45 Ja gegen 73 Nein lautete das Verdikt.