Bild: Hannes Henz

Störende Werbung soll weg

Denkbar knapp hat der Zürcher Gemeinderat eine Motion der AL für weniger Reklame im öffentlichen Raum überwiesen.

An der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend stellte David Garcia Nuñez (AL) ein dringliches Postulat vor, das er zusammen mit seinen Fraktionskolleginnen Tanja Maag und Sophie Blaser eingereicht hatte. Sie fordern den Stadtrat auf, zu prüfen, wie dieser «in Zusammenarbeit mit der Radgenossenschaft das Weiterbestehen des Museums in Zürich-Altstetten zur Vermittlung der Sinti und jenischen Kultur und Geschichte mittels eines jährlich wiederkehrenden Investitions- und/oder Betriebsbeitrags sichern kann» (siehe dazu auch die Kolumne «Meh Biss!» auf Seite 10). David Garcia Nuñez erklärte, die Radgenossenschaft der Landstrasse sei die Interessenvertretung der Schweizer Jenischen und Sinti. Sie sei 1975 von jenischen Frauen und Männern gegründet worden. Die meisten seien «Angehörige von Opferfamilien der Pro Juventute» gewesen, genauer von deren Projekt «Kinder der Landstrasse»: Jenische Familien seien zerrissen, Kinder zwangsadoptiert, Frauen gegen ihren Willen sterilisiert worden. Nun habe auch der Bundesrat anerkannt, dass diese Handlungen als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» zu qualifizieren seien.

Im aktuellen dringlichen Postulat stand das Engagement der Radgenossenschaft im Fokus, die an der Hermetschloostrasse 73 in Zürich-Alt­stetten seit 2002 ein kleines Museum samt Archiv betreibt. Dort wird im Rahmen von kulturellen Veranstaltungen die jenische und Sinti-Kultur vermittelt, aber auch «Rassismus und insbesondere Anti-Ziganismus» bekämpft, wie David Garcia Nuñez ausführte. Der Bund unterstütze die Radgenossenschaft für all ihre Aktivitäten mit 255 000 Franken jährlich, womit sie «nur dank eines ausserordentlich sparsamen Betriebs und wenigen zusätzlichen Spenden knapp überleben» könne. Deshalb, und auch weil das Museum der Radgenossenschaft keinen Eingang ins städtische Kulturleitbild 2024–2027 gefunden habe, beantrage die AL mit diesem Postulat eine jährliche Subvention. Eine solche reguläre Finanzierung würde auch «eine adäquate Anerkennung für das 50-jährige Bestehen dieser ältesten Organisation von Jenischen und Sinti in ganz Europa und für ihre beharrliche Arbeit für die Inklusion von Minderheiten und Diversität in unserer Gesellschaft darstellen», schloss David Garcia Nuñez.

Den Textänderungsantrag der SVP begründete Stefan Urech: Seine Fraktion wollte den Passus streichen, dass es um einen jährlich wiederkehrenden Beitrag gehen solle. Eine einmalige Unterstützung als Dank für den geleisteten Effort sei in Ordnung. Aber es gehe nicht an, jetzt einfach «alles, was einem nahesteht und es nicht ins Kulturleitbild geschafft hat, doch noch zu bringen, einfach in separaten Vorstössen». Tamara Bosshardt (SP) hingegen befand, hier handle es sich nicht nur um eine Aufgabe des Bundes: «Auch wir müssen Verantwortung übernehmen und unseren Beitrag zur Aufarbeitung leisten», stellte sie klar. Roger Föhn (EVP) sagte, die Mitte-/EVP-Fraktion unterstütze dieses «sehr wichtige Postulat». Die AL lehne den Textänderungsantrag der SVP ab, gab David Garcia Nuñez bekannt, worauf das unveränderte dringliche Postulat mit 101 gegen 14 Stimmen (der SVP) überwiesen wurde.

Keine Reklame mit dynamischem Inhalt mehr

Am meisten zu reden gab an diesem Abend jedoch eine Motion der AL-Fraktion, die forderte, die Flächen für Reklame im öffentlichen Raum zu reduzieren und auf Reklame «mit dynamischem Inhalt» ganz zu verzichten. Wer die Ratsdebatten regelmässig verfolgt, erlebte allerdings ein Déja-vu: Dieses Thema wurde beispielsweise anhand des dringlichen Postulats von SP, AL und Grünen mit dem Titel «Verzicht auf den geplanten Ausbau von Reklameflächen» in der Sitzung vom 7.  September 2022 behandelt. Gemäss Rats-Webseite lautet der Stand der Dinge jenes Vorstosses, «Pendent bei: Stadtrat (Frist bis 07.09.2024).» Der Stadtrat hatte sich damals gegen die Entgegennahme ausgesprochen, und auch die Motion, um die es am Mittwoch ging, lehnt er ab. Die Ratsdebatte ähnelte ebenfalls jener von vor zweieinhalb Jahren, wie ein Blick ins P.S. vom 9. September 2022 zeigt: Die Werbung im öffentlichen Raum sei vor allem kommerziell und solle «das Konsumverhalten ankurbeln», sagte Anna Graff (SP) damals. Digitale Werbeflächen seien zudem «ökologisch unsinnig», sowohl hinsichtlich des Energiebedarfs wie auch der Treibhausgasemissionen.

«Werbung manipuliert uns»

Damit zurück in die Gegenwart: Michael Schmid (AL) stellte die Motion seiner Fraktion vor, die eine Änderung der Bauordnung oder eine neue Verordnung verlangt, die eine «deutliche Reduktion der Reklameflächen» beinhalten soll. Reklamebildschirme sowie Reklamen mit dynamischem Inhalt sollen «in keinem Falle mehr zulässig» sein. Er sprach von einer «Vereinnahmung des öffentlichen Raums durch Werbung», hielt aber auch fest, Werbung fürs lokale Gewerbe sollte weiterhin möglich sein, aber keine Werbebildschirme mehr. Dies, weil Werbung «zahlreiche schädliche Auswirkungen» habe. Werbung manipuliere uns, mache uns unzufrieden und führe zu «Überkonsum». Und während man eine Zeitung oder Webseite mit zuviel Werbung weglegen bzw. schliessen könne, gebe es im öffentlichen Raum kein Entrinnen. Es sei im Übrigen seltsam, wenn die VBZ für den öV werben würden, aber im Tram Werbung für Flugreisen hänge.

Stadtrat André Odermatt entgegnete, er habe den Eindruck, hier solle mit einem Werbeverbot «die Gesellschaft und das Klima gerettet werden», doch das sei eine «überspitzte Sicht». Würde die Werbung aus dem öffentlichen Raum verbannt, gäbe es höchstens eine Verschiebung, «und die SBB würden sich bedanken». Er erinnerte weiter daran, dass ein Hype wie etwa der um die Dubai-Schoggi «ganz ohne Werbung im öffentlichen Raum» entstehen könne.

«Direkter Angriff auf unsere Freiheit»

Jean-Marc Jung (SVP) fand, Werbung sei ein «Job-Bringer und stört uns nicht». Patrik Brunner (FDP) sah in der Motion einen «direkten Angriff auf unsere Freiheit». Nicolas Cavalli (GLP) brachte Beispiele für Werbung von 1500 vor Christus, 75 nach Christus und von 1316 und befand, Werbung sei ein Kulturgut und «wir stehen hinter dem Handel». Dominik Waser (Grüne) erklärte, dass Werbung zu Mehrkonsum führe, sei wissenschaftlich erwiesen, «sonst müsste man ja keine Werbung machen». Anna Graff (SP) sprach von «Reizüberflutung» und dem hohen Energieverbrauch von Werbebildschirmen, machte aber auch eine Textänderung beliebt, da der Text der AL «zu einem zu frühen Zeitpunkt bereits zu definitiv» formuliert sei: Der Vorschlag der SP lasse die Details bewusst offen, damit sie nach Überweisung der Motion in der Kommission diskutiert werden könnten. Die AL stimmte dem zu. Weil hüben wie drüben einige Gemeinderät:innen fehlten, wurde es bei der Abstimmung denkbar knapp: Mit 58 gegen 57 Stimmen (von SVP, FDP, GLP und Mitte-/EVP) überwies der Rat die geänderte Motion.