- Wohnen
Steigen die Mieten wegen der Personenfreizügigkeit?
Manchmal meint man, die Weltenzeit sei eingeteilt in eine Epoche vor und nach der Einführung der Personenfreizügigkeit. Alles wird an der Personenfreizügigkeit aufgehängt. Zu beobachten ist dies exemplarisch beim Wohnthema: Hohe Mieten, Verdrängung von Menschen oder Massenkündigungen werden als Folge der Personenfreizügigkeit dargestellt. Als ob vorher das Paradies geherrscht hätte. Das ist in mehreren Richtungen falsch kombiniert.
Zuerst: Wer erinnert sich an die grosse Wohnkrise und den Immobiliencrash Anfang der 1990er-Jahre? Die Hypozinsen stiegen massiv an, die Mieten noch stärker und Spekulationskäufe von Wohnliegenschaften trieben auch damals die Menschen auf die Strasse. Das war lange vor der Personenfreizügigkeit. Und auch vorher: Die Schweiz erlebte immer wieder Krisen mit Wohnungsnot, überhöhten Mieten, Goldgräberstimmung im Immobilienmarkt und Menschen, die einen zu grossen Anteil ihres Einkommens für das Wohnen ausgeben mussten.
Dann: Seit der Einführung der Personenfreizügigkeit hat sich die Situation für Mietende tatsächlich verschlechtert. Der Zeitpunkt der Einführung vor bald 20 Jahren fällt mit einem Ende einer relativ ruhigen Zeit im Wohnbereich zusammen und der Druck auf die Mieten stieg ab 2008 an. Doch heisst eine Parallelität der Ereignisse immer auch eine Kausalität?
Wachstum ist der Treiber
Eines vorweg: Treiber für die Zuwanderung ist nicht die Personenfreizügigkeit, sondern das Wirtschaftswachstum und die demografische Entwicklung. Die Personenfreizügigkeit gibt den Rahmen, der diese Zuwanderung absichert. Rechtsbürgerliche Kreise haben es geschafft, die Personenfreizügigkeit zum Prügelobjekt zu machen, denn gerade sie wollen keine Wachstumsdiskussion führen. Im Alltag holen ihre Wirtschaftsleute wie alle anderen die Arbeitskräfte auch aus dem Ausland. Wer also das Wachstum für die hohen Wohnkosten verantwortlich machen will, müsste eine ganz andere Diskussion über Tiefststeuern für Unternehmen, Ansiedlungspolitik oder auch Verzicht auf materiellen Zuwachs führen.
Aber würden die Mieten überhaupt sinken, wenn wir das Wachstum abwürgen würden, und hätten wir dann beim Wohnen ein Happy End? Neben allen anderen Verwerfungen eines solchen Szenarios, nein, das würde nicht zwangsläufig eintreten. Denn die stärksten Treiber für die hohen Mietzinsen sind weder die Zuwanderung und übrigens auch nicht die stets gescholtenen Baugesetze.
Was bestimmt den Mietpreis?
Drei Faktoren sind entscheidend für die Situation der Mietenden:
Die Höhe der Zinsen. Vor einigen Jahren haben Immobilienfirmen in einer beispiellosen Tiefstzinsphase auf Teufel komm raus gebaut, sie wollten ihr Kapital irgendwo versorgen. Ihr Anteil am Gesamtbestand der Mietwohnungen ist massiv angestiegen, vielerorts haben sie die privaten Vermieter:innen als grösste Vermietergruppe verdrängt. Dann hiess es: Hilfe, wir haben zuviele Wohnungen. Als die Zinsen wieder etwas stiegen, haben sie andernorts mit höherer Rendite investiert und den Wohnungsbau aufgegeben. Jetzt hiess es: Hilfe, es wird zu wenig gebaut. Man weiss gar nicht, was man sich wünschen soll.
Wer noch bauen kann in der Schweiz: Bleiben wir noch rasch bei den Immobilienfirmen, Versicherungen und börsenkotierten Unternehmen. Der Bundesrat geht nach wie vor davon aus, dass Private zur Hauptsache für das Wohnen zuständig sein sollen. Mit unglaublichen Summen verdrängen diese oft gemeinnützige Bauträger. Niemand sollte sich in ihrem Ziel täuschen: Es ist nicht die Bereitstellung von zahlbarem Wohnraum, sondern die Erwirtschaftung einer Rendite. Ihre Bereitschaft beim Wohnungsbau ist nicht durch den Bedarf an Wohnungen, sondern durch die erwartete Rendite getrieben. Wollen wir diesen Kräften die Frage des Wohnens tatsächlich überlassen?
Und dann die rechtlichen Grundlagen: Das Schweizer Mietrecht ist ganz einfach lasch. Mieterinnen und Mieter müssen selber dafür sorgen, dass sie zu ihrem Recht kommen, und laufend fällt das Bundesgericht Urteile, die das noch erschweren. Völlig überhöhte Mieten bei Vertragsabschluss, keine Mietzinssenkungen, wenn der Referenzzinssatz sinkt oder Massenkündigungen bei Sanierungen, um dann die Wohnungen viel, viel teurer wieder zu vermieten. Welcher Vermieter, welche Vermieterin lässt sich diese Chance schon entgehen, wenn derart saftige Gewinne winken?
Rahmenbedingungen verbessern
Will die Schweiz auf dem Kurs von Wachstum bleiben und keinen Vollcrash riskieren, dann muss die Politik auch die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Dazu gehört auf alle Fälle die Wohnpolitik. Es braucht genügend zahlbaren Wohnraum, und dafür können nicht nur die Städte verantwortlich gemacht werden, sondern der Bund muss endlich aktiver werden. Er hat dazu finanzielle Instrumente, er kann raumplanerische Massnahmen ergreifen und endlich das Mietrecht so verbessern, dass Mieterinnen und Mieter vor missbräuchlichen Mieten geschützt sind. Was die Menschen insbesondere in den Agglomerationen und Städten erleben, schockiert sie zu Recht.
Fazit: Das Hauptproblem sind nicht die zugewanderten Personen, die eine Wohnung brauchen, sondern die Immobilien-Lobby, die mithilfe unseres mauen Mietrechts mit übersetzten Mieten die Situation ausnutzt und damit Mietende einer völlig überflüssigen und ungerechten Preisspirale aussetzt.
* Michael Töngi ist Nationalrat der Grünen und Vizepräsident des Mieterverbands Schweiz