Stau im Kopf

Als ich ein kleiner Junge war, fuhren wir jeden Sonntag mit dem Göppel von der Goldküste an die Pfnüselküste zu meinem Grosi. Jeden Sonntag steckten wir nach dem Mittag im Stau vor dem Bellevue und am Abend im Stau vor der Rentenanstalt. Manchmal ziemlich lange. In der brütenden Hitze. Ich erinnere mich auch noch an einen Auffahrunfall, bei dem einer dem Vorderwagen in den Hintern fuhr und dieser in uns. Seither weiss ich, was eine Knautschzone ist. Aber die Pointe ist: Das war vor 50 Jahren, und heute stehen sie immer noch am gleichen Ort und zur gleichen Zeit im Stau. Wir Gofen haben dazu gesagt: Tumm uf d’Wält cho, nüt dezueglehrt und d’Hälfti wider vergässe.

 
Periodisch kommt es wieder: Das Gejammer über den Stau. Stau ist ganz einfach zu viel Nachfrage bei zu wenig Angebot an Strassenraum. Da man bei letzterem seit 50 Jahren, siehe oben, nichts machen kann, muss man die Nachfrage verändern. Das hiesse aber: schlauer werden. Und das gut bürgerlich: eigenverantwortlich. Autos sind die doofste Erfindung seit Menschengedenken. Sie haben einen erbärmlichen Wirkungsgrad, weil sie gar nicht mobil sind, sondern nur gute Heizungen, sie haben ein erbärmliches Kosten/Nutzen-Verhältnis, weil man 2 Tonnen Blech bewegt, um 80 Kilo Nutzlast zu transportieren, und sie haben eine erbärmliche Performance, weil sie zu 95 Prozent ihres Lebens herumstehen. Gut sind sie einzig beim Töten von Menschen, wie man gerade wieder beim neuesten Dieselabgas-Skandal hören konnte. Die Nachfrage reduzieren ist also einfach: Weniger fahren, anders fahren oder besser auslasten. So lange mehr als die Hälfte des Autoverkehrs Freizeitverkehr ist, lässt sich das erste Anliegen simpel verwirklichen. Da Zürich eine Vorgabe in der Gemeindeordnung hat, wonach der Modalsplit zu Lasten des Autos zu ändern sei, ist auch genug Druck da für das zweite Anliegen. Und um das Dritte zu realisieren, etwa Carsharing, bräuchte es, schon wieder, Eigenverantwortung. Solange die fehlt, haben wir Stau.
 
Die Kosten von Staus sind ebenfalls ein Dauerbrüller. Die neusten Zahlen des Bundesamts für Raumplanung belaufen sich auf 1,6 Mia. Franken pro Jahr. Darin eingerechnet sind zum Beispiel auch Zeitkosten, die entstehen, wenn man nutzlos im Stau sitzt. Was sich vordergründig wissenschaftlich schlau gibt, ist in Wahrheit argumentativer Humbug, denn solche Kosten lassen sich nicht objektiv bestimmen. Die Kosten für Unfälle im Stau, die es öfters gibt, dem Stau anzulasten, ist etwa so sinnvoll, wie die Kosten für Unfälle im Nebel diesem anzulasten. Wie wenn es nicht in beiden Fällen Menschen wären, die ein weder staugerechtes noch wetterangepasstes Fahrverhalten haben. Wer im Stau zu dicht auffährt, ist ein Depp und kein volkswirtschaftliches Verkehrsopfer. Wir Gofen haben dazu gesagt: Was nützt en Tiger im Tank, wänn en Esel am Schtüür sitzt. Stau wird durch Fehlverhalten verursacht: Zu viele Leute wollen zur selben Zeit durch einen Strassenabschnitt. Über Folgekosten zu jammern, macht damit etwa so viel Sinn, wie wenn ich darüber klage, meine Hosen seien nach einem 7-Gang-Menü zu eng.
 
Stau ist keine Infrastrukturfrage, sondern Kopfsache. Verhaltensänderung tut not. Aber das ist nach der Lesart der Autolobby natürlich wieder so ein stinkgrüner Umerziehungsversuch. Denn wenn der Stau uns bremst, ist das keine Erziehung, wenn man aber Vorschläge zu seiner Reduktion macht, schon. Wollen wir wetten: In 50 Jahren ist vor dem Bellevue immer noch Stau. Und da sitzen sie dann, bohren in der Nase und sinnieren, alleine in ihrer Karre, über den Fortschritt der Menschheit nach. Dreimal hupen, wer das lässig findet.

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