- Gedanken zur Woche
Stadt und Land, links und rechts
In den Landtagswahlen von Thüringen und Sachsen triumphierte die AfD. Das war nicht überraschend, aber dennoch erschreckend. Ebenfalls Erfolge feiern konnte das neu gegründete BSW, die Partei von Sahra Wagenknecht. Die Gründe für den Aufstieg der AfD sind weniger klar. Sicher hat es auch hier gewisse lokale und historische Erklärmuster, die spezifisch für die AfD und die neuen Bundesländer sind. Aber es gibt wohl auch vergleichbare Gründe, die in vielen sehr verschiedenen Ländern zu einem Erstarken von rechten Parteien geführt haben. Es ist vor allem die Migrationspolitik, die im Zentrum steht, in gewissen Ländern auch die Abwehr von gesellschaftlichem Fortschritt, mit denen rechte Parteien Erfolge feiern können. Nun ist der Ausländeranteil in Sachsen und Thüringen im Vergleich zum restlichen Land tief und die AfD-Hochburgen sind meistens auch da zu finden, wo es kaum Ausländer gibt. Das ist kein neues Phänomen, es findet sich auch in der Schweiz, es zeigte sich auch historisch immer wieder, dass es keine realen Jüd:innen braucht für antisemitische Ressentiments.
Vereinfacht gesagt, gibt es zwei Erklärungen für den Aufstieg der Rechtspopulisten, die oft als Gegensatz zueinander dargestellt werden, die ökonomische und die kulturelle. Die eine besagt, dass Menschen Rechtspopulisten wählen, weil sie ökonomisch abgehängt sind und wegen der wachsenden Ungleichheit. Die andere sagt, dass kulturelle Gründe wie beispielsweise Widerstand gegen gesellschaftliche Fortschritte oder Ausländerfeindlichkeit die Hauptursachen sind. Wie immer sind wohl die Hintergründe komplexer und individueller. Was sich klar abzeichnet, ist ein starker Stadt-Landgraben, der sich vielerorts akzentuiert. Die Städte werden immer linker und progressiver, das Land immer konservativer. Der Stadt-Land-Graben spielt auch in der Schweiz eine entscheidende Rolle und ist in verschiedenen politischen Auseinandersetzungen entscheidend. Beispielsweise wie aktuell bei der Biodiversitätsinitiative, die in den Städten auf Sympathien und auf dem Land auf Abwehr stösst.
Die Ressentiments gegenüber den Städten und den städtischen ‹Eliten› hätten, so glauben einige, auch damit zu tun, dass die Infrastruktur auf dem Land vernachlässigt wird. Das ist in einigen Ländern sicher ein Problem, es wurde beispielsweise beim Aufstand der «Gilets Jaunes» in Frankreich thematisiert. Die Leute würden sich gegen Umweltmassnahmen wenden, weil auf dem Land kein Bus (mehr) fährt, weil Infrastruktur verlottert und der Service public abgebaut wird. Tatsächlich bewegt auch hierzulande ein Abbau von Poststellen die Gemüter, gerade auch in ländlichen Regionen, auch wenn viele Leute die Post weit seltener brauchen als früher. Nur ist auch der Umkehrschluss wohl zu einfach. Die Leute wählen wohl nicht einfach plötzlich links, wenn man den Takt des Busfahrplans erhöht oder Internetanschlüsse verbessert. Aber eine vernachlässigte Infrastruktur kann Ressentiments verschärfen.
Eine neue Nuance zeigt die Soziologin Arlie Russell Hochschild in ihrem neuen Buch «Stolen Pride» (gestohlener Stolz) auf. Dort stellt sie fest, dass die enthusiastischten Trump-Anhänger nicht unter den Ärmsten zu finden sind, nicht unter jenen, die am meisten abgehängt sind, sondern bei den wirtschaftlichen Eliten einer armen Region. Also bei jenen, die im nationalen Vergleich nicht zu den Reichen gehören, aber denen es im regionalen Vergleich gut geht. Sie führt deren Unterstützung von Trump auf zwei Gefühle zurück: «Stolz» und «Scham». Mit Stolz ist der Lokalpatriotismus gemeint, also der Stolz auf die Region und ihre Traditionen, und die Scham rührt vom wirtschaftlichen Abstieg der Region, der sich im Falle der USA auch mit gesellschaftlichen Problemen verbindet wie den verbreiteten Suchtproblemen. Es sei der verlorene Stolz, der diese Menschen umtreibe.
Die Politikwissenschaftler:innen Kristin Lunz Trujillo und Zack Crowley haben 2022 festgestellt, dass die Abwehr des Landes gegenüber den Städten in den USA drei Komponenten aufweise: Das Gefühl, dass das Land und die Landbevölkerung in Entscheidungsprozessen untervertreten sind, das Gefühl, dass ihr Lebensstil von den Städter:innen nicht respektiert werde und die Angst, dass das ländliche Gebiete zuwenig Ressourcen erhalten und damit abgehängt werden. Vor allem die ersten beiden Komponenten korrelieren mit einer Unterstützung von Donald Trump.
Dieser Befund erinnert mich an ein Buch, dass Hans Steiger vor einigen Wochen besprochen hat: «Die Kuh im Dorf lassen» von Blaise Hofmann, das auch darüber berichtet, welche (politischen) Gräben sich zwischen Stadt und Land auftun, zwischen den Bauern, die sich in ihrer Existenz und ihrem Lebensstil von den Städter:innen bedroht fühlen. «Ein eindrücklicher Abschnitt befasst sich mit der überdurchschnittlichen Zahl der Suizide, dem Verschwinden von immer mehr (Landwirtschafts-)Betrieben. Das inoffiziell geltende Gesetz vom Wachsen oder Weichen bedroht viele. Das spitzt den Konflikt zu, und «die Antwort des Bauern, dessen Situation sich stetig verschlechtert, ist von Wut und Trotz durchsetztes Schweigen». Die vorab in den Städten verorteten Medienschaffenden, Roten und Grünen werden pauschal zu Feinden.»
Die Frage des Stellenwerts und der Repräsentation des Landes ist in den USA und in der Schweiz vor allem eine kulturelle Frage. Politisch sind die Machtverhältnisse eigentlich anders, werden aber ganz offenkundig nicht so empfunden. Das Land hat einen strukturellen politischen Vorteil, in den USA wegen dem Elektorensystem und dem Senat, in der Schweiz wegen Ständerat und Ständemehr. Die Stimme einer Nidwaldnerin hat damit weit mehr Gewicht als jene einer Zürcherin, aber dennoch fühlt sich die Nidwaldnerin wohl von der Zürcherin dominiert. Weil die Medien in Zürich sind, das Fernsehen, die Kultur, die Wirtschaft und die Hochschulen.
Und tatsächlich spitzt sich das hierzulande zu in der Agrarpolitik. Die existenziellen Sorgen der Bauern sind berechtigt, aber deren politische Vertreter:innen zeichnen sich in Bern aus mit einer knallharten und arroganten rechten Machtpolitik, die allen anderen die Sympathien für die Landwirtschaft verdirbt. Dabei wäre es eigentlich möglich, dass zwei Anliegen gleichermassen berechtigt und nicht in einem politischen Nullsummenspiel gegeneinander ausgespielt werden müssten. Warum sollte die Existenz der Bauern und Bäuerinnen und die Sorge zur Natur in einem grundsätzlichen Widerspruch stehen? Weil sie dazu gemacht werden, um eine politisch andere Agenda zu bewirtschaften. Dafür steht die Geld- und Gülle-Allianz zwischen Bauern und Wirtschaftsverbänden. Und deren Interessen schaden oft sowohl Stadt und Land.