Stadt für Autos oder für Menschen?

Der Zürcher Gemeinderat spricht sich für eine provisorische Passerelle über die Thurgauerstrasse aus und bewilligt einen Kredit von 367 Millionen Franken für eine weitere Verbrennungslinie im Hagenholz.

An der ersten ‹gewöhnlichen› Sitzung des Zürcher Gemeinderats unter Leitung der neuen Präsidentin Sofia Karakostas (SP) blieb eines gleich: Während der ersten halben Stunde gaben verschiedene Ratsmitglieder persönliche Erklärungen ab. Zur Sprache kamen unter anderem der bevorstehende Frauenstreik vom 14. Juni und die knappe Ablehnung des Stimmrechts für Ausländer:innen durch den Kantonsrat (siehe dazu nebenstehenden Artikel). Vergleichsweise wenig zu reden gab die Vorlage «Entsorgung + Recycling Zürich, Kehrichtheizkraftwerk, dritte Verbrennungslinie 2K5, neue einmalige Ausgaben»: Natürlich klingt das nicht sexy, doch es geht bei dieser anstehenden Erweiterung der Kehrichtverwertungsanlage Hagenholz immerhin um neue einmalige Ausgaben von 367 Millionen Franken. Kommissionssprecher Patrick Tscherrig (SP) führte aus, die neue Verbrennungslinie werde unter anderem aufgrund der steigenden Bevölkerungszahl nötig. Um Platz dafür zu schaffen, wird der dortige Recyclinghof bis 2024 in ein Provisorium in Zürich-Affoltern verschoben und findet danach im Juchhof seine neue Heimat. Die Abfallmenge steige gemäss kantonalem Abfallkonzept bis 2035 von 780 000 auf 830 000 Tonnen, führte Patrick Tscherrig weiter aus, und mit einer Abnahme der brennbaren Abfälle sei nicht zu rechnen. Zudem wird die Kehrichtverbrennungsanlage in Horgen per 2034 stillgelegt. Mit der neuen Linie lassen sich obendrein mehr Megawatt pro Franken ‹ernten› als anderswo, was angesichts des geplanten Ausbaus der Fernwärme eine gute Sache ist.

Beat Oberholzer (GLP) erklärte, seine Fraktion sei zwar «dafür, wie alle anderen Fraktionen auch», doch die Kosten seien schon sehr hoch, betrügen sie doch «eineinhalb mal soviel wie die Kosten der Schule Saatlen», über die am 18. Juni abgestimmt wird. Sibylle Kauer (Grüne) fügte an, die Kehrichtverbrennungsanlage sei bereits gross und werde nun noch ausgebaut. Den Grünen sei es wichtig, dass nicht nur weggeworfen, sondern wenn immer möglich wiederverwertet werde. Doch die Abfallplanung sei Sache des Kantons, und er rechne mit einer Zunahme. Angesichts dessen sei es am besten, diesen Abfall dort zu verbrennen, wo er anfalle und wo er direkt in den bestehenden grossen Wärmeverbund eingespeist werden könne. Mit 111:0 Stimmen nahm der Rat die Vorlage an. Das letzte Wort haben die Stimmberechtigten an der Urne.

Provisorische Passerelle

Ein Geschäft, das im Rat bereits mehrmals zu ausgedehnten Debatten geführt hatte, gab erneut viel zu reden, und zwar in Form der gemeinsamen Behandlung von drei Vorstössen  für wahlweise die ebenerdige Querung der Thurgauerstrasse im Bereich des Schulhauses (SP, Grüne, GLP), eine Passerelle zum selben Zweck (FDP) sowie einer provisorischen Passerelle, bis zur Umsetzung einer sicheren ebenerdigen Querung (AL, Grüne).

Heidi Egger (SP) erinnerte da­ran, dass im Rat bereits «Passerellen an immer anderen Orten» entlang der Thurgauerstrasse gefordert – und stets abgelehnt worden seien: «Wir wollen nicht, dass die Fussgänger:innen unten- oder obendurch müssen, wir wollen keine Passerelle aus einheimischem Holz, und wir wollen auch keine Passerelle, die im Budget versteckt ist», erklärte sie. Doch seit im letzten Dezember beim Escher-Wyss-Platz ein Kind auf dem Schulweg überfahren und getötet wurde, getraue sich niemand mehr zu sagen, die Kinder müssten lernen, Strassen mit Lichtsignalen zu überqueren. Ob die Kinder dann tatsächlich über die Passerelle marschierten oder doch unten durch, sei auch allen egal… Heidi Egger fügte an, auch wenn es nun eine Passerelle gebe, müsse trotzdem eine Lösung für eine ebenerdige Querung gefunden werden. Nebst der Abklassierung der Strasse auf Tempo 30 erwähnte sie die Möglichkeit, dass die Kinder die Strassen zu beiden Seiten des mittig abgesetzten Tramtrassees auf Fussgängerstreifen mit Lichtsignalen überqueren könnten. Das Tramtrassee müsste separat mit einer Barriere gesichert werden, wie man es bei der Glatttalbahn gemacht habe: «So würden alle fünf Übergänge sicher statt nur einem, jenem mit der Passerelle.» Deshalb unterstütze die SP den Bau einer provisorischen Passerelle und plädiere dafür, dass das Geld für deren Rückbau gleich mit ins Budget aufgenommen werde.

Andreas Egli (FDP) sagte, ihm sei es egal, ob eine provisorische oder eine definitive Passerelle gebaut werde, «es muss einfach eine Passerelle her». Sven Sobernheim (GLP) hingegen ärgerte sich darüber, dass der Bau einer Passerelle bedeute, dass wir es nicht schafften, eine Stadt für Menschen zu planen statt einer Stadt für Autos. Nach ausgiebiger Debatte überwies der Rat die ersten beiden Vorstösse, wobei die Motion noch dahingehend abgeändert wurde, dass auch eine provisorische Passerelle oder «andere geeignete Massnahmen» enthalten sind.

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