Staatsgelder für den Staatsabbau
Avenir Suisse will Swisscom und SBB privatisieren – und erhält für ihre Arbeit Geld von eben diesen Unternehmen. Beim zuständigen Departement gibt man sich schmallippig, Parlamentarier sind überrascht.
Aus einem Sturm im Wasserglas wurde schnell ein mediales Sturmlaufen, mit dem Resultat, dass die Unia ihre letzten fünf Jahresberichte öffentlich machte: ‹Tages-Anzeiger› und ‹Blick› machten vor drei Wochen die Grösse des Vermögens der grössten Gewerkschaft publik; die Recherche dieser Zeitung (siehe P.S. vom 24. September) zeigte auf, dass sich die Mieten einiger Unia-Wohnungen – entgegen den Aussagen der Gewerkschaft – nicht unter Marktniveau befinden. Die Episode führte neben einem wichtigen Einblick in die Finanzen der Unia auch zu Reaktionen politischer Kontrahenten. Die FDP hat im Nationalrat zwei Fraktionsvorstösse eingereicht, die vom Bund verlangen, die Geldflüsse bei den Gesamtarbeitsverträgen und bei der Unia-Arbeitslosenkasse öffentlich zu machen. Der neugefundene Enthusiasmus des Freisinns an der Transparenz überrascht: Diesen Juni stimmte noch die gesamte Nationalratsfraktion bis auf eine Enthaltung für eine Ablehnung der Transparenz-Initiative. Eine besonders scharfe Spitze gegen die Unia feuerte Avenir Suisse-Chef Peter Grünenfelder ab. «Die gewerkschaftliche Dunkelkammer, wo Hunderte von Millionen gebunkert werden, muss nur schon aus demokratiepolitischen Gründen endlich ausgeleuchtet werden.» Wie jetzt eine Recherche der P.S.-Zeitung zu den Finanzen von Avenir Suisse zeigt, stellen sich auch dort einige demokratiepolitische Fragen – und zwar vor allem für das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK.
SBB und Swisscom finanzieren mit
Wer finanziert Avenir Suisse? Diese Frage lässt sich leicht beantworten. Der Jahresbericht von Avenir Suisse ist online aufgeschaltet. Dieser kommt ohne Jahresrechnung aus, man erfährt lediglich: Die Stiftung verwaltet ein Budget von 5,5 Millionen Franken. Dieses wird (Stand 2019) durch die Förderbeiträge von 18 Privatpersonen und 134 Unternehmen und Stiftungen finanziert. Diese sind äusserst transparent im Jahresbericht mit Namen aufgelistet. Von diesem Förderkreis verspricht sich Avenir Suisse Unabhängigkeit: «Dank der Finanzierung durch einen breiten Kreis von FörderInnen ist der Think-Tank frei von Partikularinteressen und kann auch unbequeme Themen oder politische Tabus aufgreifen», steht auf der Webseite. Der Umfang des Engagements werde individuell vereinbart und orientiert sich an der Grösse sowie den finanziellen Möglichkeiten des einzelnen Fördermitglieds, schreibt Mediensprecherin Verena Parzer-Epp auf Anfrage. Die Förderbeiträge seien fünfstellig, doch genaue Angaben zur Höhe und der Spannweite macht sie keine. «Öffentliche Gelder nimmt Avenir Suisse hingegen explizit nicht an.» Nur: Ein Blick auf die Liste der Förderer zeigt, dass diese Aussage nicht stimmt. Unter den Firmen, die die Avenir Suisse fördern, sind mit den SBB und der Swisscom zwei bundesnahe Betriebe: erstere gehört zu 100, letztere zu 51 Prozent der öffentlichen Hand. Oder anders gesagt: Die Beiträge dieser beiden Firmen an Avenir Suisse sind überwiegend öffentlich finanziert. Die SBB zahlen pro Jahr einen mittleren fünfstelligen Betrag, schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Bei der Swisscom gibt man auf Anfrage keine Auskunft über die Höhe des Förderbeitrags. Das Engagement der beiden staatsnahen Betriebe ist pikant, schliesslich fordert Avenir Suisse bereits seit Jahren die vollständige Privatisierung von Swisscom und SBB. Gegenüber der NZZ beschrieb Peter Grünenfelder die ideologische Grundhaltung seiner Stiftung unlängst wie folgt: «Wir sind ‹pro Market›, nicht pro ‹pro Business›».
«Das ist sehr unglücklich»
Besteht da kein Interessenskonflikt, wenn bundesnahe Betriebe politische Forderungen zur eigenen Privatisierung mitfinanzieren? Diese Frage richtet sich an das UVEK. Dieses ist sowohl für die Swisscom als auch die SBB zuständig. Neben der Frage zum Interessenskonflikt hat das P.S. folgende weitere Fragen gestellt: Weiss das UVEK vom Engagement der SBB und Swisscom im Förderkreis von Avenir Suisse, weiss das UVEK, wie hoch dieses Engagement ist, welche Regeln für das finanzielle Engagement von bundesnahen Betrieben in Verbänden und Vereinen bestehen? Die Antwort des Departements von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga fällt mager aus: Der Entscheid über Verbands- und Vereinsmitgliedschaften eines bundesnahen Unternehmens liege in der operativen Verantwortung und Kompetenz des Managements. In der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Nationalrats (KFV-N), die für die Aufsicht über die Unternehmen zuständig ist, war das finanzielle Engagement von Swisscom und SBB bei Avenir Suisse bisher kein Thema. Das bestätigen alle angefragten Kommissionsmitglieder. Etwa die Zürcher Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne). «Mir war das nicht bewusst, ich werde das in der nächsten Sitzung thematisieren.» Auch Matthias Aebischer (SP) ist überrascht: «Es ist sehr unglücklich, dass staatsnahe Betriebe einen Think-Tank unterstützen, der einzig wirtschaftsliberale Thesen entwickelt.» Die Antwort des UVEK findet er nicht überzeugend. «Wo sind denn die Grenzen gesetzt? Können SBB und Swisscom auch politische Kampagnen oder gar Parteien unterstützen? Wohl kaum.» Er werde das Thema beim nächsten Treffen mit den Unternehmensleitungen ansprechen. Anders sieht es Martin Candinas von Die Mitte: «Es wäre nicht stufengerecht, wenn wir auf Stufe Kommission über die einzelnen Mitgliedschaften der SBB und Swisscom diskutieren und mitbestimmen würden».
Aber nicht nur Gelder von Bundesbetrieben fliessen in die Avenir Suisse-Kassen, auch die SteuerzahlerInnen aus den Kantonen Zürich und Bern sind beteiligt: Die Bernischen Kraftwerke (BKW) und die Flughafen Zürich AG sind Teil des Förderkreises. Die BKW gehört zu 52 Prozent den Berner SteuerzahlerInnen, die Flughafen Zürich AG immerhin zu 33 Prozent dem Kanton Zürich. Neben politisch brisantem Engagement von bundesnahen Unternehmen lässt sich Avenir Suisse von illustren Unternehmen wie Glencore, LafargeHolcim und OC Oerlikon sponsern. Letztere ist direkt aus dem ehemaligen Rüstungsbetrieb von Georg Bührle entstanden, dessen Vater sein Vermögen unter anderem Waffenverkäufen an die Nationalsozialisten verdankte. Schaut man sich die Liste der UnterstützerInnen und die Forderungen von Avenir Suisse an, erhärtet sich der Eindruck: Die Stiftung ist mehr Wirtschaftslobby als unabhängige Denkfabrik.
Das bemerkte gar die ‹Weltwoche›: Als sich Avenir Suisse für das Rahmenabkommen mit der EU aussprach, trötzelte der ehemalige Chefökonom von Economiesuisse: «Polit-Lobbyisten gibt es mehr als genug, dafür braucht es Avenir Suisse nicht.» Mit einem Unterschied: Normalerweise erhalten LobbyistInnen keine Steuergelder.
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