Spurensuche

Zwischen der eigenen kindlichen Bewunderung für den abenteuerlustigen Cousin und den verbitterten Worten dessen Bruders über ihn, «so eine isch doch es Arschloch», spannt Anja Kofmel ihre Spurensuche. Als die Todesnachricht des Radiojournalisten Christian Würtenberg sie erreicht, ist sie zehn Jahre alt. Nach dem einschneidenden Erlebnis wurde sie jahrelang vom gleichbleibenden Albtraum heimgesucht.

Zwanzig Jahre später macht sie sich mit ihren Mitteln des Animations- und Dokumentarfilms daran, seinen Werdegang zu ergründen. Schulabbruch, um eine militärische Ausbildung aufseiten Apartheidregime in Südafrika zu absolvieren. Journalistische Reportagetätigkeit aus den Brennpunkten der Zeit. Dabei – und hier muss die Spurensuche im Ungefähren bleiben, weil die greifbaren Notizen ein nur unvollständiges Bild abgeben und teilweise auch verbrieften Aussagen von Chris komplett widersprechen – begegnet er der Gretchenfrage aller JournalistInnen, die in Katastrophengebieten unterwegs sind. Egal ob sie von Hunger, Krieg oder Naturgewalten berichten. Die Situation von Berichterstattenden ist in Extremlagen nahezu schizophren. Die Rolle des Öffentlichkeit Herstellenden, sorgfältig ausgewogen nach überprüfbaren Fakten Suchenden, bedingt die Nichteinmischung. Diese Grenze hat Chris überschritten, als er sich einer Kampfbrigade anschloss, die das kroatische Hinterland von SerbInnen ‹säuberte›.

Eine «Horde von Hirnkranken» nennt das die damals ebenfalls anwesende, österreichische Kriegsreporterin Heidi Rinke. Es gibt Zeugnisse, dass er diese Gruppe wieder verlassen wollte, so weit kam es indes nie. Sein mutmasslicher Mörder wurde seinerseits vor neun Jahren erschossen. Was bleibt, ist die klug geschnittene und gekonnt in Symbolzeichnungen übersetzte Wiedergabe einer labyrinthischen Orientierungslosigkeit. Über viele von Chris’ Entwicklungen kann nur spekuliert werden und dennoch wird im Film glasklar, wie schmal ein Grat in einem Menschenleben sein kann und wie klein der Schritt darüber hinweg. Von der kindlichen Verehrung bleibt nichts zurück. Wow! froh.

 

«Chris the Swiss» spielt in den Kinos Houdini, Kosmos, Stüssihof.

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