Spiegelungen eines Materials

Die Ausstellung «Eiswasserglas» im Gewerbemuseum Winterthur zieht das Publikum mit kunstvoll verarbeiteten Glasobjekten von Tora Urup ebenso in ihren Bann wie mit dem präzisen Blick auf Glas, Wasser und Eis, der Hans Hansens Fotografien prägt.

 

Die Türe zum langen Raum im ersten Obergeschoss des Gewerbemuseums Winterthur öffnet sich, und was man da sieht, macht einen erst mal sprachlos: Auf einem schmalen Tisch, der sich über die ganze Länge des Raumes erstreckt, reiht sich ein auserlesenes Glasobjekt ans andere. Vasen, Schalen, Objekte, dicke und hauchdünne, transparente, spiegelnde und opake Flächen, streng geometrische Formen und geschwungene – eine Sammlung, wie es sie nur einmal gibt. Es ist die Sammlung des deutschen Fotografen Hans Hansen, Jahrgang 1940, bekannt und international renommiert als Sachfotograf. Im selben Raum hängen seine Schwarzweiss-Fotografien: von Glasobjekten, von Details von Glasschalen, Vasen oder Trinkgläsern, von Wassertropfen oder Eisblöcken.

 

Wer denkt, eines der ausgestellten Objekte auf einer Fotografie entdeckt zu haben, täuscht sich möglicherweise. Wer gewettet hätte, Glas abgebildet zu sehen, dem erklärt Hansen beim Rundgang durch die Ausstellung lächelnd, das sei Wasser. Fotografiert habe er alles im Studio, fügt er an. Licht, Spiegelungen, Wahl des Blickwinkels – alles muss stimmen, damit solch faszinierende Bilder entstehen.

 

Wie alles begann? 1962 sei er dem finnischen Designer Tapio Wirkkala begegnet, erzählt Hansen. Fasziniert von dessen Glasobjekten, machte er ein paar Fotos und schickte sie ihm – worauf ihn dieser gleich anstellte, um all seine Objekte zu fotografieren. Hansen, der nach einer Lithografenlehre angewandte Grafik an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf studierte hatte, brachte sich das Fotografieren autodidaktisch bei. Auch mit Glas habe er vor der Begegnung mit Wirkkala nichts zu tun gehabt, fügt er an. Doch nun war er fasziniert von diesem Material, und er begann, Glasobjekte zu sammeln und zu fotografieren.

 

Dabei spielt er mit verschiedenen Ebenen und Perspektiven. Indem er mit starker Vergrösserung, Langzeitbelichtung oder Fotogrammen arbeitet, schafft er Aufnahmen, in denen sich klar umrissene Formen auflösen, in abstrakte Gebilde verwandeln – und, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, in einem anderen Licht erscheinen. Kurz: Hansens Faszination für Glas ist bis heute ungebrochen, und diese Faszination ist in der Ausstellung «Eiswasserglas» deutlich zu spüren.

 

«Variationen über ein Thema»

Tora Urup sagt, sie liebe Material, grundsätzlich; ganz besonders aber liebt sie das Material Glas. Die Schalen, die sie im Gewerbemuseum ausstellt, stellen einen erst mal vor die Herausforderung, sie überhaupt als Ganzes zu sehen – so drängend schiebt sich die Frage, wie Tora Urup das bloss macht, in den Vordergrund. Die Glaskünstlerin aus Kopenhagen lächelt: Schwierig zu erklären … und verrät dann doch, dass alle ihre Werke geblasen sind, teils zusätzlich in noch heissem Zustand von Hand geformt. In massive, geschliffene Glaskörper sind dünne Schichten eingelassen, einige farbig, andere opak, und so entstehen Schalen, in deren Innern weitere Schalen zu schweben oder zu schwimmen scheinen.

 

Ist die innerste, andersfarbige Schale dieses faszinierenden Objekts vor uns wohl oben offen oder mit einer dünnen Glasschicht bedeckt? Beides wäre möglich … Tora Urup lächelt und nickt – anfassen ausnahmsweise erlaubt, und siehe da: die Schale ist tatsächlich offen. An einigen der faszinierenden Konstruktionen haben drei oder auch vier Glasmacher gleichzeitig gearbeitet, plus die Künstlerin, versteht sich. Dass sie einen Entwurf machen und diesen dann einfach ihren Leuten in der Werkstatt übergeben würde – undenkbar: «Es kann so vieles passieren. Oft sieht man zudem erst nach dem völligen Abkühlen, das bis zu fünf Tage dauern kann, ob der ursprüngliche Plan funktioniert hat oder nicht.»

 

Was genau fasziniert sie am Material Glas? Auch hier: Schwierig zu sagen… Sie habe das Material Glas untersucht, dabei immer tiefer gegraben, so habe sich ihr eine neue Welt geöffnet, versucht sie zu erklären. Nur schon die Möglichkeiten, welche die Transparenz bietet … «Variationen über ein Thema», formuliert sie schliesslich. Das mag unspektakulär tönen, doch dieser Eindruck täuscht: Zielsicher führen die im Gewerbemuseum ausgestellten «Varationen» das Publikum in eine neue Welt.

 

Eiswasserglas: Hans Hansen & Tora Urup. Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur, bis 5. November.
Öffnungszeiten: Di bis So 10-17 Uhr / Do 10-20 Uhr / Mo geschlossen. www.gewerbemuseum.ch

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