- Kanton Zürich
Solarstrom für die ‹Vorratskammer›
Vor den Sommerferien stellte Baudirektor Martin Neukom die Windenergie in den Fokus (siehe auch P.S. vom 6. Juli), an der Medienkonferenz vom 23. August die Sonne. Im Grundsatz geht es um dasselbe: Bis ins Jahr 2050 fällt die Kernkraft weg, Autos und Lastwagen fahren elektrisch, und Öl- und Gasheizungen werden durch Wärmepumpen ersetzt. Neue Technologien sind effizienter als frühere, doch weil gleichzeitig die Bevölkerung weiter wachsen wird, bleibt die Herausforderung gross. Martin Neukom spielte erneut verschiedene Szenarien durch, dieses Mal mit dem Ausbau der Solarenergieproduktion auf den Dächern im Mittelpunkt – und ansonsten derselben Botschaft wie vor den Sommerferien: Für die Versorgung mit einheimischem Strom aus erneuerbaren Quellen braucht es alles, von Wasserkraft und Windenergie über Holz und Geothermie bis hin zu Solar alpin, Solarfassaden und insbesondere Solardächern. Lässt sich der sommerliche Überschuss von den Solardächern speichern und so in den Winter mitnehmen, wäre sogar eine autarke Stromversorgung der Schweiz möglich. Diese wäre allerdings auch unnötig teuer, merkte der Baudirektor an. Es werde weiterhin Strom importiert werden, «weil wir von allem ein bisschen weniger machen werden», sprich, kaum das rechnerisch mögliche Maximum von Solardächern, Windrädern und Wasserkraftausbau realisieren werden. Aber wenn wir effizienter werden, Elektroheizungen ersetzen, Gebäude sanieren, Wärmenetze ausbauen, Solarenergie auf Dächern und in den Alpen zubauen, wenn Wasserkraft, Windkraft, Biogas und Geothermie Strom liefern und es obendrein saisonale Energiespeicher gibt, dann sieht es gut aus.
«Vom Sprint in den Marathon»
Bezüglich Solarausbau stehen wir in der Schweiz gut da: In den letzten Jahren wurde sehr viel zugebaut. Als Gründe nannte der Baudirektor die Akzeptanz der Solarenergie, die «massiv gestiegen» sei, bei gleichzeitig gesunkenen Kosten. Umgekehrt seien die Strompreise zwar am Sinken, aber zurzeit noch relativ hoch, was zu ebenfalls relativ hohen Einspeisevergütungen führe. Nicht zuletzt habe aber auch die Energiekrise von 2022 dazu geführt, dass das Bewusstsein für den Wert vor Ort produzierter und verfügbarer Energie gestärkt wurde. Doch davon, sich auf dem zuletzt Erreichten erst mal auszuruhen, kann dennoch keine Rede sein. Martin Neukom drückte es so aus: «Wir müssen vom Sprint in den Marathon kommen.» Das werde schon deshalb nicht einfacher, weil die Strom- und damit auch die Rückliefertarife künftig sinken würden.
Gemäss einer Studie der ZHAW liegt das grösste Potenzial für mehr Solarenergie im Kanton Zürich auf den Dächern, gefolgt von Fassaden, Photovoltaik in Kombination mit Landwirtschaft und Paneelen über Parkplätzen. Dabei liegt auf 20 Prozent der Dächer rund 60 Prozent des Solarpotenzials. Geeignete Dächer ab 300 m2 Fläche bei Neubauten, bei Dachsanierungen oder spätestens bis 2040 sollen deshalb künftig als Solardächer ausgestaltet werden – sofern es technisch machbar und wirtschaftlich ist, frei nach dem Motto, «wenn schon Pflicht, dann dort, wo es wirklich etwas bringt». Härtefallregelungen und Fristverlängerungen seien möglich, fügte der Baudirektor an, wenn nötig auch «grosszügige Ausnahmen». Nebst dem Entwurf des Regierungsrats gibt es einen weiteren aus der kantonsrätlichen Kommission für Energie, Verkehr und Umwelt. Dieser verlangt unter anderem bei Neubauten Paneele an geeigneten Dach- wie auch Fassadenflächen. Beide Entwürfe gehen nun separat in die Vernehmlassung.
Technologie-Entwicklung anstossen
Mit dem Ausbau allein ist es jedoch nicht getan, in der Vorlage des Regierungsrats geht es auch noch um die Entwicklung von kurz- und langfristigen Speichern. Neben den bewährten Speicherseen in den Alpen können das beispielsweise Geospeicher sein, wie sie in Bern geplant sind: Im Sommer soll die Abwärme der Kehrichtverbrennungsanlage im Untergrund gespeichert werden, im Winter erfolgt dann die Einspeisung ins Fernwärmenetz. In Dietikon ist seit 2022 die erste industrielle Power-to-Gas-Anlage der Schweiz in Betrieb, die mit Strom aus der Kehrichtverbrennungsanlage Wasserstoff erzeugt. Als weiteres Beispiel nannte Martin Neukom einen Grubenspeicher, der in Dronninglund in Dänemark seit 2013 in Betrieb ist und in Kombination mit einem Solarpark funktioniert: Hier wird saisonal thermische Energie gespeichert, und die Anlage ist ebenfalls in Fernwärmenetze eingebunden.
Weil jedoch viele Technologien zur saisonalen Energiespeicherung noch nicht marktreif sind, verfolge der Regierungsrat mit seiner Vorlage zusätzlich das Ziel, «einen Beitrag zur Technologieentwicklung zu leisten». Die Netzbetreiber sollen dazu maximal 0,5 Rappen pro Kilowattstunde Strom erheben, was bis zu 45 Millionen Franken jährliche Einnahmen bringt – und den Strompreis für die Endverbraucher:innen um rund zwei Prozent erhöht. Bei einem Durchschnitts-Haushaltsverbrauch bis 4000 Kilowattstunden pro Jahr seien das etwa 20 Franken pro Jahr, rechnete der Baudirektor vor. Nach der Vernehmlassung, die bis am 30. November dauert, folgen die Auswertung und der Antrag an den Kantonsrat, der per Mitte 2025 parat sein sollte.
«Begrüssenswert» oder «Bevormundung»?
Die SP Kanton Zürich schreibt in ihrer Medienmitteilung, sie begrüsse die Regierungsvorlage, zeigt sich gegenüber dem Finanzierungsvorschlag für die Speicherung jedoch skeptisch: «Eine Abgabe auf dem Stromtarif würde Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen zusätzlich und überproportional stark belasten, da diese keinen eigenen Strom produzieren können.» Zudem sei der Grenzwert für die Solarpflicht mit 300m2 Dachfläche zu hoch angesetzt, hält die SP mit Verweis auf die Vorlage der Kantonsratskommission fest. Ihr Fazit: «Die eingeschlagene Richtung stimmt, es braucht aber mehr Tempo und eine faire Finanzierung.»
Die Grünen halten unter anderem fest, es brauche noch weitere Schritte, namentlich Photovoltaik auf Fassaden und auf Parkplätzen, denn: «Je schneller der Zubau der erneuerbaren Energien erfolgt, desto schneller können die ältesten noch laufenden AKW der Welt, Beznau I und II, vom Netz genommen werden.» Die GLP schreibt: «Die Massnahmen für mehr Solarenergie und Speicherlösungen in Zürich sind ambitioniert, aber machbar und wirtschaftlich. Damit werden die Versorgungssicherheit und die lokale Wertschöpfung in Zürich gestärkt.» Die SVP hingegen fordert «keine weitere Bevormundung, die die Eigentümer von Wohn- und Gewerbebauten finanziell belasten».