Solarpanele im Schatten der Wasserkraft

Der Nationalrat hat diese Woche den sogenannten Mantelerlass erneuerbare Energien beraten. Welche Weichen hat er mit seinen Entscheiden gestellt, und wie geht es nun weiter? Eine Übersicht.

Über nichts Geringeres als die «Energieversorgung der Zukunft» hat der Nationalrat diese Woche laut einer SDA-Meldung vom Montag beraten. Worum genau geht es?

Dazu erst mal ein kurzer Rückblick: Am 21. Mai 2017 stimmten 58,2 Prozent der Abstimmenden dem revidierten Energiegesetz zu. Es soll dazu dienen, den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu erhöhen und die erneuerbaren Energien zu fördern. Zudem enthält es das Verbot, neue Atomkraftwerke zu bauen. Diese erste Tranche der Umsetzung der Energiestrategie 2050 trat zusammen mit den entsprechenden Verordnungen auf Anfang 2018 in Kraft. 

Was war damit konkret geschafft?

Dazu findet sich auf der Webseite des Bundesamts für Energie eine Zusammenstellung mit dem Titel «Energiestrategie 2050 nach dem Inkrafttreten des neuen Energiegesetzes»: Beschlossen waren damit beispielsweise Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz, zum Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Atomausstieg. Nutzung und Ausbau der erneuerbaren Energien, die im nationalen Interesse liegen, sollten bei Interessensabwägungen eine bessere Ausgangslage bekommen, und Neuanlagen in Biotopen von nationaler Bedeutung sowie in gewissen Reservaten sollten ausgeschlossen sein. Die Stromnetze sollten weiterentwickelt und die entsprechenden Bewilligungsverfahren optimiert werden.

Weitere Neuerungen betrafen einen Netzzuschlag für die Förderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien, der beispielsweise für Marktprämien für Gross- und Investitionsbeiträge für Kleinwasserkraft sowie Biomasse verwendet werden soll. Auch ist seither der Umbau der heutigen kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) zu einem Einspeisevergütungssystem mit Direktvermarktung festgeschrieben. Ab dem sechsten Jahr nach Inkrafttreten des ersten Massnahmepakets sollte es keine neuen Verpflichtungen im Einspeiseprämiensystem mehr geben und ab dem Jahr 2031 keine neuen Investitionsbeiträge bzw. Einmalvergütungen mehr. Das hat sich jedoch als zu ambitiös erwiesen.

Will heissen?

Dazu gibt ein Faktenblatt des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zum «Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» Auskunft, also der unter dem Namen «Mantelerlass» geführten Revision des Energie- und des Stromversorgungsgesetzes. Darin heisst es, die auslaufenden Fördermassnahmen schafften Unsicherheiten und hemmten Investitionen, die Strombranche brauche jedoch Planungssicherheit: «Der Bundesrat schlägt darum vor, die Fördermassnahmen zu verlängern, sie gleichzeitig aber auch wettbewerblicher auszugestalten.»

Der Mantelerlass wurde dafür allerdings schon im Erstrat, dem Ständerat, zu spät beraten, nämlich in der Herbstsession 2022 (siehe P.S. vom 7. Oktober 2022). Dass die Fördermassnahmen dennoch weiterlaufen können, ist einer parlamentarischen Initiative von Bastien Girod (Grüne, Zürich) zu verdanken, mit der diese drohende «Förderlücke» geschlossen werden konnte (siehe P.S. vom 15. Juli 2022). Allerdings zeichnete sich damals bereits ein Punkt ab, der auch die aktuelle Debatte prägt.

Welcher denn?

Zur Vorlage gegen die «Förderlücke» gab es wie üblich eine Vernehmlassung, in der beispielsweise die Schweizerische Energiestiftung (SES) darauf hinwies, dass die angepassten Vergütungssätze in der Energieförderungsverordnung eines zeigten: «Die Photovoltaik erhält am wenigsten Geld pro zusätzliche Kilowattstunde.» Das sei schwer verständlich: «Statt billige Photovoltaik-Anlagen zu fördern, werden diese Kilowattstunden durch Förderungen anderer Technologien mit teils deutlich höheren externen Kosten, z.B. durch Schäden an Natur und Landschaft, verdrängt», schrieb die SES weiter.

Und was hat das mit der ­aktuellen Debatte zu tun?

In der Fassung des Ständerats, der sich der Nationalrat diese Woche weitgehend anschloss, enthält das Energiegesetz verbindliche Zielwerte für die Jahre 2035 und 2050. Diese betreffen den Ausbau der Wasserkraft und der anderen erneuerbaren Energien sowie die Senkung des Energie- und Elektrizitätsverbrauchs pro Kopf, wie die SDA damals zusammenfasste (siehe P.S. vom 7. Oktober 2022). Die Wasserkraft soll demnach 37,9 Terawattstunden bis 2035 und 39,2 Terawattstunden bis 2050 erreichen, während die Zielwerte für die anderen erneuerbaren Energien bei 35 Terawattstunden bis 2035 bzw. 45 Terawattstunden bis 2050 liegen. Der durchschnittliche Verbrauch pro Person und Jahr muss gegenüber dem Jahr 2000 bis 2035 um 43 Prozent und bis 2050 um 53 Prozent gesenkt werden. Massnahmen für mehr Energieeffizienz sollen bis spätestens 2035 zu einer Reduktion des Stromverbrauchs um zwei Terawattstunden führen, was die Versorgungssicherheit im Winter verbessern soll. Dasselbe Ziel soll ein Zubau von Wasserkraftwerken bis 2040 erreichen helfen. Zur Absicherung gegen ausserordentliche Situationen wird mittels Ausschreibung jährlich eine Energiereserve gebildet.

Umweltbestimmungen für den Bau wie auch den Bestand sowie die Erweiterung und die Erneuerung von Anlagen zur Prokuktion von erneuerbaren Energien sollen zwar in Kraft bleiben, aber, so die SDA weiter: «Der Schutz von Biotopen und von Wasser- und Zugvogelreservaten von nationaler Bedeutung, in denen ein Drittel der geschützten Arten lebt, wird aufgeweicht.»

Hier wollte der Nationalrat doch Gegensteuer geben?

Ja, und das hat er auch getan: In Biotopen von nationaler Bedeutung, in Wasser- und in Zugvogelreservaten können auch künftig keine Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien gebaut werden. Mit diesem Punkt muss sich somit nochmals der Ständerat befassen. Allerdings konnte die rot-grüne Ratsseite nicht verhindern, dass die bürgerliche Mehrheit andere ihrer ‹roten Linien› überschritt: Nachdem sich die Kommissionsmehrheit noch dagegen ausgesprochen hatte, die Restwasservorschriften bei Neukonzessionierungen von Wasserkraftwerken zu sistieren, bis die Ausbauziele erreicht sind, stimmte der Nationalrat am Montag mit 95 zu 94 Stimmen bei einer Enthaltung dafür. Auch damit muss sich der Ständerat folglich nochmals befassen.

Weshalb ist dieser Entscheid aus Sicht der Linken und der Umweltschützer:innen inakzeptabel?

Die NZZ vom Mittwoch erinnert an die Vorgeschichte der Restwasservorschriften: «Die Vorgaben im Gewässerschutzgesetz waren ein Kompromiss, auf den sich die Vertreter von Wasserwirtschaft, Bauern und Fischern geeinigt hatten. Daraufhin zog der Fischereiverband seine Initiative ‹Lebendiges Wasser› zurück. Das war 2010.» Den Antrag, die Restwasservorschriften zu sistieren, brachte Nicolo Paganini (Mitte / SG) ein. Laut der NZZ geht er selber gern fischen… Doch ohne die Sistierung der Restwasservorschriften drohe ein Verlust an Stromproduktion, sagte er in der Debatte, und dieser betrage «je nach Schätzung zwischen 1,9 und gegen 4 Terawattstunden pro Jahr. Das entspricht in etwa ein- bis zweimal der Totalproduktion der von der Grande Dixence gespiesenen Kraftwerke». Nadine Masshardt (SP /BE) entgegnete ihm, dieser Eingriff stehe «in keinem Verhältnis zum ökonomischen Nutzen». Der Produktionszuwachs liege laut Verwaltung «deutlich unter 200 Gigawattstunden». 2022 hätten wir rund 1000 Gigawattstunden Solarstrom zugebaut, und der Ersatz der Elektroheizungen würde Einsparungen von 2 Terawattstunden bringen, fügte sie an: «Mit anderen Massnahmen können wir sehr viel mehr und das vor allem sehr viel rascher erreichen, als wenn wir bei den jetzt schon trockenen Bächen noch das Restwasser verringern.»

Weil der Rat auch hier gegen die Empfehlung seiner Kommissionsmehrheit abstimmte, droht also das Referendum. Dafür ist jenes Referendum, mit dem die SVP drohte, vom Tisch, oder?

Die SVP hatte für den Fall mit dem Referendum gedroht, dass der Rat seiner Kommission folgen und eine Solarpflicht für bestehende Bauten beschliessen solle – beziehungsweise in den Worten von Mike Egger (SVP/SG), wenn der Rat «diesem Mist zustimmen» sollte. Nun gibt es aber lediglich eine Pflicht für Neubauten sowie bei erheblichen Um- und Erneuerungsbauten, etwa bei Dachsanierungen. Was natürlich nichts daran ändert, dass die SVP gar keinen Solarstandard will, auch nicht für Neubauten… Kurz: Die «Technologie mit dem grössten Ausbaupotenzial», wie Gabriela Suter (SP/AG) betonte, soll auch weiterhin im Schatten der Wasserkraft stehen, obwohl deren Potenzial langsam, aber sicher ausgeschöpft ist. Immerhin kamen die Anträge von FDP und insbesondere SVP zur Kernkraft nicht durch: Die SVP wollte den Bau neuer Atomkraftwerke zulassen, also das Gegenteil dessen, was die Stimmberechtigten vor nicht einmal sechs Jahren, am 21. Mai 2017, mit 58,2 Prozent Ja beschlossen haben.

Und die Moral von der Geschicht’?

Am Mittwoch hat der Nationalrat die Vorlage schliesslich mit 104:54 Stimmen bei 33 Enthaltungen angenommen. Dagegen war die SVP, die Grünen haben sich enthalten. Die Hoffnung auf einen vernünftigen Kompromiss, die man sich aufgrund der Empfehlungen der vorberatenden Kommission des Nationalrats machen konnte, hat sich jedoch zerschlagen: Die links-grüne Ratsseite musste Kröten schlucken, während die roten Linien der SVP respektiert wurden und sie mal wieder als Siegerin vom Platz geht.

Inwiefern?

Kommt es beispielsweise wegen der Restwasservorschriften zum Referendum, kann sie den Linken, Grünen und Umweltschützer:innen mal wieder genüsslich um die Ohren schlagen, sie seien die grössten Verhinderer:innen der Produktion ebendieser erneuerbaren Energie, die sie stets lauthals forderten. Gleichzeitig kommen allfällige Referenden der SVP auch insofern entgegen, als dass sie am liebsten weiterhin nur auf Wasser- und auf Kernkraft setzen möchte. Denn je mehr Zeit verstreicht, bis es endlich richtig losgeht mit dem dringend nötigen Zubau der Erneuerbaren, desto grösser wird die Gefahr eines Engpasses – und dann kann sie erst recht auftrumpfen und subito neue AKW fordern. Dass der Baubeginn frühestens in 20 Jahren erfolgen könnte, braucht man ja nicht an die grosse Glocke zu hängen… schliesslich stehen die nächsten Wahlen schon in wenigen Monaten an. Taktisch gesehen wäre es folglich das Beste, kein Referendum zu starten, sondern möglichst rasch möglichst viele Solarpanels auf die Dächer zu bringen und damit Tatsachen zu schaffen, die der SVP nicht passen dürften – aber dafür uns allen nützen. Zudem stirbt die Hoffnung bekanntlich zuletzt: Bundesrat Albert Rösti hat in der Debatte angetönt, der Ständerat, der nun wieder am Zug ist, könnte bei den Restwassermengen korrigieren, den Solarstandard rausnehmen und Vorzugsgebiete für die Energieplanung wieder einführen. Daraus könnte ein Kompromiss entstehen, den sowohl Grüne als auch SVP mittragen könnten.

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