Sippenhaft statt Solidarität

 

Ja, danke, Ferien waren gut. Ich bin trotzdem stinkig, vielleicht ist es besser, Sie halten Ihre Kinder vom folgenden Text fern.

Ich bin ja nun wirklich nicht der Typ, der immer grad sofort in Paranoia verfällt, kaum hat ihm das System mal einen kleinen Gingg versetzt. Ich hab nicht gebrüllt, als damals die Militärersatzabgabe vereinheitlicht wurde, ausgerechnet nur ganz kurz, bevor ich in den Genuss eines reduzierten Ansatzes gekommen wäre. Ich habe auch keine Bomben geschmissen, als die Kinderzulagen nach jahrelangem Kampf endlich erhöht wurden – nur gefühlte zwei Stunden, nachdem meine Kinder erwachsen wurden. Und ich nehme klaglos hin, dass ich zu meiner nicht geringen Verblüffung offenbar ein Kollegenschwein bin, weil ich seit Jahren die höchste Franchise habe und meine sämtlichen Arztrechnungen selber bezahle, keinen Rappen aus der Krankenkasse beziehe und mir nun ausgerechnet von Bundesrat Boule de Billard vorhalten muss, das sei unsolidarisch.

 

Aber seit kurzem weiss ich auch noch, dass ich als Babyboomer die Hauptursache für den Zusammenbruch des wichtigsten Solidarsystems bin, der Altersvorsorge. Und dass ich daher ebenso klarerweise gefälligst ein Opfer, ach was, grad einen Riesenscheisshaufen Opfer bringen muss, damit sich das ändert. Aber jetzt reicht’s. Soviel Perversion des Solidaritätsbegriffs hält man ja im Kopf nicht aus.

Wie immer, wenn’s soweit ist, werde ich daher mein Mantra zitieren. Setzen Sie sich bitte nun alle zusammen, synchron mit mir, im Schneidersitz aufs Parkett, legen Sie die Hände auf die Knie, schliessen Sie die Augen und sagen Sie laut (der Nachbar solls hören, den geht’s auch an): «Ich lebe verdammt nochmals immer noch in der reichsten Stadt des verflucht nochmals (fast) reichsten Kantons des verdammt nochmals reichsten Landes der Welt.» (Ich hab ja gesagt, halten Sie die Kinder fern.) Und auch wenn ich ja weiss, dass unsere Bemühungen um etwas mehr Solidarität bei der Umverteilung dieses Reichtums grad kürzlich anlässlich der Erbschaftssteuer wieder gescheitert sind, so will es mir doch nicht in den Kopf, dass ich jetzt dafür doppelt solidarisch sein soll, nur weil meine Elterngeneration halt zur gleichen Zeit die Idee mit dem Gebären hatte, so dass es mehr von mir gibt als von anderen Jahrgängen.

 

Was sonst soll denn der Begriff der Solidarität bitte schön ausdrücken als eben genau das, dass eine Gesellschaft dafür da ist, solche Unebenheiten in der Demografie auszugleichen, indem sie in den Zeiten, wo ein Mehrbedarf an Geld besteht, dieses auch dort holt, wo es ist? Genau das macht das System bei mir ja seit Jahrzehnten! Es kann doch nicht sein, dass Solidarität nur gelten soll, wenn man es sich grad mal leisten kann. Das ist nämlich dieselbe kranke Haltung, welche von den Frauen ein ‹Entgegenkommen› beim Rentenalter 65 verlangt, quasi als Sahnehäubchen dafür, dass sie vorher vier Jahrzehnte zu einem tieferen Lohn gearbeitet haben.

 

Die Generationenbuchhaltung bringt es an den Tag: Ich habe, wie alle anderen vor mir und nach mir auch, als Kind von der Gesellschaft profitiert und Geld bezogen. Und ich werde das ab 65 wieder tun, weil wir genau dafür eine Altersvorsorge haben. Dazwischen habe ich, da immer irgendwie arbeitstätig, mehr einbezahlt als bezogen, so wie es der Regelfall ist. Und wenn die Demografie, die übrigens ja wohl die berechenbarste Grösse im ganzen Riesenschlamassel ist, dazu führt, dass vorübergehend ein Bilanzfehlbetrag entsteht, dann sind daran nicht die Babyboomer schuld, sondern die Finanzierungsquellen.

Dass ich weniger erhalten soll als die vor mir und die nach mir, bloss weil meine Generation mehr Köpfe aufweist, ist weder logisch noch fair. Sondern es bedeutet schlicht und ergreifend, dass wir das Solidarsystem durch das der Sippenhaft ersetzen.

 

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