Sinnlich und intuitiv

 

Die Gegenüberstellung der Skulpturen von Hans Arp mit jenen von William Tucker als zweite Ausstellung des Jubiläumsjahres des Kunstmuseums Winterthur ergibt einen schönen Dialog, der über den Ersteindruck eines harten Kontrastes hinausgeht.

 

 

In die grossformatigen Skulpturen von Hans Arp, vornehmlich die edel ausgeführten in Marmor, denen man bereits beim Betreten der Sammlungsräume auf dem Weg in den Erweiterungsbau begegnet, möchte man am allerliebsten mit den Händen greifen. Die glatten Oberflächen mit ihren weiblichen Rundungen verströmen trotz der Abstraktheit der Form und der Härte und Kälte des Materials eine sinnliche Anziehung. Es wirkt keineswegs zufällig, dass Dieter Schwarz bereits im Foyer im ersten Stock der dort immer stehenden Frauenfigur «La Nuit» von Aristide Maillol mit «Fruit de la lune» einen ersten Arp in Aluminium gegenüberstellt, selbst wenn diese noch kein Bedürfnis nach haptischer Erfahrung auslöst. Die wuchtigen und gewichtigen Werke von William Tucker (*1935), die mit ihrer spröden, groben Oberfläche und einem mit dem Verstand kaum vereinbaren Zusammenhang zwischen Titel und Objekt eher Befremdung, wenn nicht gar eine Art von Einschüchterung auslösen, sind augenscheinlich ein harter Kontrast. Die Gemeinsamkeit der beiden sehr unterschiedlichen Werke sind die Irritation und der hintersinnige Humor der Künstler. Weder bei Hans Arp noch bei William Tucker lässt sich bezüglich der Arbeitstitel und der dazugehörenden Form mit den Mitteln des Verstandes ein schlüssiger Zusammenhang herstellen. Erst wenn man bereit ist, der eigenen Intuition zu vertrauen und sich auf die Ebene des Ungefähren einlässt und einen gewissen Grossmut in den Weiten der möglichen Assoziationen zulässt und eine Ahnung als ausreichende ‹Erklärung› gelten lässt, beginnen die Werke zu ‹sprechen›.

Hans Arp kommt von den Wandarbeiten her und hat sich mit den Jahren und der Entwicklung in Richtung räumlich orientierter Plastik bewegt. Dem gegenüber ist William Tucker der klassische Bildhauer, den heute nicht mehr das Konkrete interessiert, sondern die Andeutung, die Dynamik einer Form. In einem Kabinett sind zwölf Miniaturen ausgestellt, die, salopp formuliert, auch für das übrig Gebliebene eines Kindernachmittags mit Knetmasse gehalten werden könnten. Bei eingehender Betrachtung ist aber sehr wohl bei den meisten davon eine gewisse Eindeutigkeit erkennbar: Ob Torso, aufrechter Gang oder amorphe Harmonie, die Kleinstkunstwerke sind letztlich sehr deutlich voneinander verschieden. Der beste Einstieg in William Tuckers Werk bietet der grosse Saal mit den eindeutig als Hände erkennbaren Teilen. Selbst wenn das dynamischste von ihnen als «Tauromachy» angeschrieben ist. Die Verbindung der Hand des Bildhauers mit der Macht des Stiers ist nicht unkomisch. Ebenso die Serie «Oedipus», die weder den Inzest noch den Vatermord, sondern den Klumpfuss zur Referenz nimmt. Komisch im Sinne von humorvoll war natürlich auch Hans Arp, der in seiner steten Suche nach dem Poetischen – in schriftlichen wie malerischen, plastischen und bildhauerischen Werken – nicht nur das Schöne und Leichte der Muse, sondern auch das Hintersinnige, die politische wie gesellschaftliche Veränderung in Form zu fassen bestrebt war – nicht nur in Zeiten von Krieg und Exil. Im Kabinett beim Eingang zum Erweiterungsbau sind erste «papiers déchirés» als Trauerverarbeitung von Sophie Taeubers jähem Unfalltod ausgestellt, die in weiter dahinter liegenden Räumen einen späteren Niederschlag auch in den Holzreliefs und deren finalen Ausarbeitung findet. Statt der feinsäuberlichen Bemalung des Resultates einer seiner Formensuchen, wird es fleckig und erhält einen Eindruck von eiligst und ungefähr angebracht. In dieser auch als Grosszügigkeit lesbaren Skizzierung wiederum schliesst sich der Kreis zum Werk von William Tucker und die anfänglichen Fragezeichen über die Funktionsfähigkeit dieses Dialoges verkehren sich in einen freudigen Aha-Effekt, der den Zugang zum Intuitiven und Sinnlichen beider Werke komplett freilegt.

 

«Hans Arp», «William Tucker», bis 22. Mai, Kunstmuseum, Winterthur. Ab 27.2. tritt mit «Richard Tuttle» eine dritte Perspektive in den Dialog. Kataloge folgen.

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