- Kultur
Silikongedanken
Sparmassnahmen des Medienhauses zwingen den erfahrenen Kriegsreporter Pierre Peters (Simon Brusis) dazu, sich für eine Peoplestory zu verdingen. Über Katja Schuurman (Anna Kumrow), dem aktuell am hellsten leuchtenden Soapsternchen, hat der Boulevard längst alles publiziert, was interessieren könnte und auch was nicht. Mit wem sie ihr Bett teilt, wie dieser darin performt, wie ihre Oberweite zustande kam, ihr Kindheitstrauma, das Geheimnis ihres Aufstiegs und warum sie zur Uniform Netzstrümpfe und High-Heels auserkoren hat. Er hat keinen Bock, sie fordert ein Mindestmass an Respekt ein, schliesslich bestimmt dieser Auftrag nicht nur über ihre Promo, sondern auch über seinen Verdienst. Im filigranen Kammerspiel, das Theo van Gogh 2003 verfilmt und Martin Kusej 2009 im Theater Neumarkt auf die Bühne gebracht hatte, fliegen die Fetzen. Unverhohlen bis anscheinend regelrecht lustvoll grenzüberschreitend werfen sich die beiden Boshaftigkeiten um die Ohren, die einer Kraftprobe entlang des Kampfes von Geschlechterklischees gleichkommen. Miro Maurer hat für die Inszenierung die historischen Referenzen leicht aktualisiert und das Stück ins Zeitalter der Digitalisierung transferiert. Im Kern ist der Disput derselbe, die Wortwahl absichtlich verletzend, die Begrifflichkeiten vulgär, die hinterhältige Rachlust der stärkste Antrieb, fürwahr verpackt in scheissfreundliche Schmeicheleien. Er gibt vor, nichts von ihr zu wissen und dies auch so belassen zu wollen, während sie anscheinend gute Miene zum bösen Spiel zeigt, derweil sie über ein ausgefuchstes Instrumentarium gegen die häufigsten Anwürfe verfügt und exakt diese Klischiertheit einer blondierten Sexbombe dafür einsetzt, ihn möglichst aus dem Gleichgewicht zu bringen, zu irritieren. Alles nur Show. Mittendrin zwei ausgebuffte Profis, die möglichst wenig Einblick in ihre Karten alias Schwächen zulassen wollen, während sie sämtliche bis in die unterirdischste Schublade hinunterreichenden Tricks anwenden, um ihr Gegenüber blosszustellen. Die aufgeplusterten Plastikfauteuils, die im praktisch leeren Raum ein Industrieflair und damit eine Weltläufigkeit suggerieren, passen wie die Faust aufs Auge. Sie neckt, er eckt an. Sie kokettiert, er korrumpiert. Sie spielt, er pariert. Oder ist alles jeweils umgekehrt? Die Provokation zur Erlangung einer Reaktion ist beiderseits die Waffe erster Wahl, das Interesse gilt beiderseits dem eigenen Vorteil. Ein grossartiges Wortgefecht.
Besenkammerspiele: «The Interview», 24.5., Kellertheater Winterthur im Solarcafé.