- Gemeinderat
Sieben Jugendvorstösse
Zwar begann die Sitzung des Zürcher Gemeinderats wie gewohnt mit Fraktions- und persönlichen Erklärungen, und doch war an diesem Mittwochabend etwas anders als sonst: In der Reihe direkt vor jener für die Journalist:innen nahmen für einmal keine Parlamentarier:innen, sondern Jugendliche Platz. Der Grund war eine Premiere in der 131-jährigen Geschichte des Zürcher Gemeinderats: Auf der Traktandenliste standen die ersten sieben Jugendvorstösse. Ratspräsident Guy Krayenbühl führte dazu aus, dass seit einer entsprechenden Änderung des kantonalen Gesetzes im Jahr 2018 Kinder- und Jugendparlamente in den Gemeinden erlaubt sind. Dies unter anderem mit dem Ziel, die Partizipation der noch nicht stimmberechtigten Jugendlichen und generell ihr Interesse an Politik zu fördern. Die Stadt Zürich führte daraufhin den Jugendvorstoss ein: Mindestens 60 Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren können seither Forderungen einbringen, die in der Kompetenz des Gemeinderates liegen. Am 24. November 2023 fand die erste städtische Jugendkonferenz mit 98 Teilnehmer:innen statt, und an diesem Anlass entstanden die sieben Vorstösse. Guy Krayenbühl gratulierte den Jugendlichen dafür, dass sie «ihr Umfeld mitgestalten» wollten und «aktiv für ihre Anliegen einstehen» – und den vor Ort Anwesenden zudem zu ihrem Mut, ihre Vorstösse direkt im Parlament einzubringen. Auch die Voten der Gemeinderät:innen zu den Vorstössen begannen an diesem Abend praktisch durchwegs mit entsprechenden Gratulationen und weiteren positiven Äusserungen – auch wenn der Umgangston im Rat dann umso mehr dem dort Üblichen entsprach, je länger die Sitzung dauerte…
Für Grün am Gerüst
Stadträtin Simone Brander hatte sodann die undankbare Aufgabe, zum ersten Jugendvorstoss überhaupt die Ablehnung des Stadtrats bekanntzugeben. Tamara Achmed Hassan und Lilly Thury hatten in ihrem Vorstoss gefordert, dass Baustellen in der Stadt Zürich begrünt werden können. Das solle mit «mobilen und wiederverwendbaren Pflanzenmodulen erreicht werden, die bei Baustellen platziert werden», zum Beispiel mit hohen Büschen in Töpfen oder Schlingpflanzen an Gerüsten. Simone Brander erklärte den Jugendlichen, es gebe bereits eine städtische Stelle, die sich ums Grün kümmere. Baustellen jedoch seien nicht der richtige Ort dafür. Denn dort sei der Platz knapp, und zudem müsse man dort auch Material deponieren und die Zufahrt von Lastwagen gewährleisten können. Die SP-Fraktion sah das anders als ihre Stadträtin, sie unterstützte den Vorstoss: Marco Denoth sagte, ihm als Bauleiter seien enge Baustellen durchaus bekannt, doch oft hätte es trotzdem Platz für Begrünung. «Mir wäre Grün am Gerüst lieber als Werbung für irgendwas», fügte er an.
Auch Michael Schmid (AL) fand, die Sicht des Stadtrats sei «ein bisschen eng», wahrscheinlich habe er «stark an Strassenbaustellen gedacht», doch es gebe auch Baustellen im Hochbau, und dort könne man eine Begrünung durchaus prüfen. Mehr Grün sei «sehr wichtig», ergänzte Sibylle Kauer (Grüne), und es brauche vor allem «mehr dauerhaftes Grün». Dennoch finde ihre Fraktion diese «Aufwertung von Baustellen» prüfenswert. FDP, Mitte-/EVP und SVP hingegen gaben ihre Ablehnung bekannt. Als bei der Abstimmung die roten und grünen Punkte auf den Anzeigetafeln aufleuchteten, stieg die Nervosität unter den Jugendlichen, und entsprechend freuten sie sich über das Resultat: Mit 58 gegen 55 Stimmen überwies der Rat den ersten Jugendvorstoss. Wie sich später herausstellen sollte, kamen alle sieben Vorstösse durch, wenn auch nicht alle so knapp.
Turnhallen, Kultur und öV
Noemi Weinmann und Leander Bross forderten mit ihrem Vorstoss «offene Turnhallen». In ihrem Votum vor dem Rat führte die 15-jährige Noemi Weinmann aus, Bewegung sei wichtig für die Jugendlichen. Doch viele wollten sich nicht fest verpflichten oder störten sich am Leistungsdenken in Vereinen, und es könnten sich auch nicht alle die Mitgliedschaft in einem Verein leisten. Mehr sportliche Betätigung wäre aber nicht nur gut für die Gesundheit, fuhr sie fort, sondern die Jugendlichen könnten auch Leute kennenlernen und Freundschaften schliessen, Spass haben an einem sicheren Ort ohne Stress – und nicht zuletzt «Aggressionen abreagieren, bevor sie auf doofe Ideen kommen». Balz Bürgisser (Grüne) sagte, es gebe solche Angebote schon, zum Beispiel in der Zentralwäscherei. Weiter erwähnte er den Open Sunday von Ende Oktober bis März an zehn Standorten in der ganzen Stadt sowie den Midnight Sport, den die Offene Jugendarbeit am Samstagabend an vier Standorten organisiert und wo ebenfalls Hallensport, aber auch Tanz angeboten wird. Die Grünen fänden jedoch, dieses Angebot müsste noch ausgebaut werden, damit künftig in jedem Quartier mindestens eine Halle zur Verfügung stehe, und unterstützten deshalb den Vorstoss «mit Begeisterung». Schnell zeigte sich, dass für einmal alle Fraktionen von links bis rechts diesen Vorstoss unterstützten: Mit 110:0 Stimmen überwies der Rat dieses Postulat.
Lisa Hesse und Sophie Lutz forderten einen «Pass für Schulkinder für Vergünstigungen im Kultur- und Freizeitbereich sowie Verpflegung». Sophie Lutz (14) fragte die Parlamentarier:innen, ob sie die Oper gern hätten, und fügte an, sie sei noch nie in der Oper gewesen. Der Eintritt koste viel, deshalb brauche es Vergünstigungen. Dasselbe gelte für die Verpflegung: «Es ist wichtig, dass alle eine Chance auf gute Verpflegung haben, egal, von welcher sozialen Herkunft sie kommen.» Dann standen «günstigere ÖV-Tickets für die städtische Bevölkerung, abgestuft für das Alter bis 18 Jahre» auf dem Programm: Joshua van de Pol (14) outete sich als grosser öV-Fan und stellte die Frage in den Raum, womit er sich denn das Ticket kaufen solle, wo doch Kinderarbeit verboten sei… Für späteren Schulbeginn plädierte Carlo Helbling (14) unter anderem mit dem Argument, in Finnland beginne die Schule erst um neun Uhr, und es funktioniere gut. «Gegen Diskriminierung von religiösen Minderheiten an Schulen» sprach sich die 15-jährige Iqra Khan aus. Nach der letzten Jugendvorstoss-Abstimmung hängte der Rat noch ein paar Geschäfte an. Die Jugendlichen machten sich derweil auf den Heimweg, wobei einige den Journalist:innen noch kurz Auskunft gaben und sich dabei unter anderem darüber erstaunt zeigten, wie lange teilweise debattiert worden war. Auch einige in den Voten geäusserten Ansichten kamen ihnen offensichtlich eher seltsam vor (Klammer auf: was die Berichterstatterin überhaupt nicht erstaunt… Klammer zu).