- Stromversorgung
Sicher mit der Sonne
Letzte Woche publizierte die nationale Netzgesellschaft Swissgrid ihren Geschäftsbericht. In der Medienmitteilung, die sie am 16. April dazu verschickte, heisst es, zunehmende internationale Stromflüsse und das fehlende Stromabkommen mit der EU stellten Swissgrid vor Herausforderungen bezüglich Netzbetrieb, Netzstabilität und Rechtssicherheit. Weiter wird darauf verwiesen, dass «eine deutliche Zunahme von Frequenzabweichungen» verzeichnet worden sei. Dazu muss man wissen, dass die Frequenz des europäischen Stromnetzes bei 50 Hertz liegt und konstant gehalten werden muss. Das bedeutet konkret, dass das Gleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch elektrischer Leistung immer gegeben sein muss. Die Swissgrid als Betreiberin des Schweizer Höchstspannungsnetzes nennt als wichtigsten Grund für die Frequenzabweichungen während des letzten Jahres, «dass es anspruchsvoller wird, die Solarstromproduktion vorherzusagen». Deshalb habe mehr Regelenergie eingesetzt werden müssen. Regelenergie ist beispielsweise jene Energie, die nur deshalb ins Netz eingespiesen wird, weil ein Teil der Energie, mit dem die Produzenten zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechnet haben, wider Erwarten nicht verfügbar ist und gleichzeitig soviel verbraucht wird wie geplant. Dafür hat Swissgrid Verträge mit Kraftwerken, die zu diesem Zweck Leistung parat halten: Sie speisen mehr Strom ins Netz, wenn zum Beispiel ein Kernkraftwerk wegen einer Schnellabschaltung unvermittelt ausfällt. Oder sie drosseln umgekehrt ihre Produktion, wenn über Mittag unerwartet viel Solarstrom ins Netz fliesst. Mit Regelenergie werden also, bildlich gesprochen, Lücken gestopft. Swissgrid schickt die Rechnung für diese Energie an jene Verteilnetzbetreiber weiter, welche die Unausgeglichenheit im Netz verursacht haben.
Ungenaue Prognosen summieren sich
Doch weshalb ist es so schwierig, die Solarstromproduktion vorherzusagen? In einer Zeit, in der Wetter-Apps samt Regenradar praktisch auf jedem Handy installiert sind? Swissgrid-Sprecher, Noël Graber, verweist auf Anfrage darauf, mit einer installierten Leistung von zirka 8 Gigawatt produzierten Photovoltaikanlagen am Mittag und bei Sonnenschein einen «beträchtlichen» Teil des inländischen Stroms: «8 Gigawatt entspricht etwa der Leistung von acht grossen Kernkraftwerken.» Graber führt weiter aus, wenn die Verteilnetzbetreiber ihre zu erwartenden Strommengen bei Swissgrid anmeldeten und sich dafür auf Wetterprognosen abstützten, die «nur an Arbeitstagen und nur zu Bürozeiten» aktualisiert würden, könne es zu grösseren Abweichungen kommen. Wenn nun beispielsweise nicht nur ein Verteilnetzbetreiber mit nicht aktuellen Prognosen arbeitet, sondern gleich mehrere, dann summieren sich die Mehr- oder Minderproduktion. Kann Swissgrid die Schwankungen selbst mit der dafür vorgehaltenen Regelenergie nicht ausgleichen, muss kurzfristig am Markt zusätzliche Regelenergie beschafft werden. Die Mehrkosten, die das verursacht, können hoch sein, denn auf dem Markt für Regelenergie gilt das Prinzip der Merit Order – mit der nachgefragten Menge steigen auch die Preise. Diese Kosten landen letztlich auf der Rechnung der Stromkund:innen.
Sowohl Swissgrid als auch die Verteilnetzbetreiber haben also ein Interesse daran, etwas gegen dieses Problem zu unternehmen. In einem Factsheet von Swissgrid mit dem Titel «Stabiles Netz mit hoher Photovoltaikproduktion» finden sich Vorschläge dazu, wie sich die Photovoltaikproduktion besser vorhersagen lassen könnte. Einer lautet, die Verteilnetzbetreiber könnten Produktion und Verbrauch viertelstündlich erfassen und ihre Prognosen «basierend auf aktuellen Wetterprognosen auch in Echtzeit und an Wochenenden und Feiertagen» aktualisieren. Auch Batteriespeicher oder die «Steuerbarkeit» von Photovoltaikanlagen werden genannt, oder «wirtschaftliche Anreize für gute Prognosen». Noël Graber erwähnt weiter das Stromabkommen mit der EU, das Swissgrid den Zugriff auf die europäischen Regelenergieplattformen ermöglichen würde, was sich nicht zuletzt finanziell lohnen würde: «Ein grösserer Markt bedeutet mehr Liquidität und bessere Konditionen.» Zudem brauche es «flexible Energietarife für Produktion und Verbrauch, damit sie sich an die aktuellen Gegebenheiten im Netz anpassen», sowie «gesetzliche Grundlagen, um Photovoltaikanlagen für den Ausgleich ansteuern zu können».
Keine Blackout-Gefahr wegen zu viel Solarstrom
Immerhin ist es Swissgrid bereits letztes Jahr gelungen, einen Vertrag mit den Übertragungsnetzbetreibern der Region «Core» abzuschliessen (siehe P.S. vom 22. November 2024). Dabei geht es um die Berücksichtigung des Schweizer Netzes in der europäischen Kapazitätsberechnungsregion Core, also grob gesagt um die Stromflüsse in der Region Mittelwesteuropa sowie deren Einfluss auf das Schweizer Netz und umgekehrt. Dieser Vertrag schafft zwar höhere Sicherheit in Bezug auf die Netzstabilität, doch er muss jedes Jahr erneuert werden und stellt damit keinen Ersatz für ein Stromabkommen mit der EU dar.
Und was genau ist mit den gesetzlichen Grundlagen gemeint, die es brauche, um Photovoltaikanlagen für den Ausgleich ansteuern zu können? Auf der Webseite des schweizerischen Fachverbands für Sonnenenergie Swissolar (swissolar.ch) findet sich eine Zusammenstellung der Änderungen, die das neue Stromgesetz bringen wird, das am 9. Juni 2024 mit 68 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen wurde. Unter dem hübschen Zwischentitel «Köpfchen statt Kupfer: Flexibilitäten nutzen (ab 2026)» ist zu lesen, zur Vermeidung von Engpässen in Verteilnetzen werde es immer wichtiger, «dass die Verteilnetzbetreiber die Flexibilität von Produzenten und Speicherbetreibern nutzen können». Dazu gebe es ab kommendem Jahr klare Regeln: «Verteilnetzbetreiber müssen mit den Inhabern der Flexibilität Vereinbarungen zu deren Nutzung treffen. Sie ist zu entschädigen, sobald sie mehr als drei Prozent der durch die Anlage jährlich produzierten Energie ausmacht.»
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Problem der «ungenauen Solarprognosen» erkannt ist und Vorschläge vorhanden sind, wie es sich lösen lässt. Dass Solarstrom die Stromversorgung nicht unsicher macht, zeigt zudem ein Blick nach Deutschland, wie einer Kurzmeldung in der Zeitschrift ‹Erneuerbare Energien› (Nr. 2, April 2025, herausgegeben von der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie SSES in Zusammenarbeit mit Swissolar) zeigt: «Nach Einschätzung des deutschen Bundesverbandes Solarwirtschaft ist das Risiko, dass es infolge von zu viel Solarstrom zu einer Überlastung der Stromnetze, einer temporären Überforderung beim Bilanzausgleich oder gar einem Blackout kommt, sehr gering.» Diese Einschätzung teile auch die Wissenschaft: «Photovoltaikanlagen werden in Deutschland bereits seit 2012 bei Frequenzüberschreitungen nicht einfach abgeschaltet. Vielmehr wird die Leistung mittels der Wechselrichter, der Steuerungsinstrumente einer Solaranlage, in Abhängigkeit von der Netzfrequenz stufenlos gedrosselt. Je höher die Frequenz steigt, desto mehr reduziert der Wechselrichter seine Eigenleistung», wird Professor Bernd Engel von der Technischen Universität Braunschweig zitiert.
Dieser Artikel stammt aus der 1. Mai-Beilage zum Thema Sicherheit