Sex, sonst nichts
Wo in der Explizitheit der Darstellungen in der Sammlungsauswahl Thomas Koerfers, die derzeit unter dem Titel «Sinnliche Ungewissheit» im Kunsthaus Zürich gezeigt wird, das eine oder das andere des Oberbegriffs zu entdecken sein soll, bleibt schleierhaft.
Penis, Schwellkörper, Schwanz; Vagina, Vulva, Scheide – und nochmal von vorn. Dieser ziemlich geringdimensionale Eindruck verändert sich auch nicht, wenn die Aufzählung der Urheber zum baren Namedropping wird: Man Ray, Robert Mapplethorpe, Boris Mikhailov, Andy Warhol, Doug Aitken, Jeff Koons – angereichert mit ein paar Frauen der vergleichbaren Liga: Nan Goldin, Cindy Sherman, Sarah Lucas. Beim Kopfdurchlüften während eines Pausenumgangs durch die frisch gehängte Sammlung stellen sich die Fragen weder nach Sinnlich- noch nach Ungewissheit oder gar deren Kombination innerhalb eines Werkes. Im Gegenteil. In den einschlägig mit Eros kokettierenden Werken von Edgar Degas oder Max Beckmann, Lovis Corinth und Giovanni Segantini ist das Ungefähre, die Andeutung, das Vage bei gleichsam deutlicher malerischer Benennung des Sexus das Spiel mit dem Reiz, das eine Interaktion mit der Fantasie von Betrachtenden anregt und für Spannung sorgt.
Kuratorische Aufgabe
Dass selbst bei expliziten sexuellen Werken durch die Dramaturgie der Hängung und klugen Gegenüberstellungen eine Anregung zu weiterführenden Gedanken bis komplexen Fragen beim Publikum hergestellt werden kann, bewiesen die beiden «DarkSide»-Ausstellungen im Fotomuseum Winterthur in den Jahren, als Thomas Koerfer dort Stiftungsratspräsident war. Dort wurde dem mit barem Ernst, also der nachgerade pornografischen Darstellung, schnell einmal herstellbaren Gefühl des Überdrusses mit Brüchen, Ironie und Verwirrung begegnet. Der Ermüdungserscheinung von ‹es gnüegelet› also klug entgegen gewirkt. Durch Intervention. Diese kuratorische Aufgabe lagert Cathérine Hug im Falle der privaten Sammlungspräsentation von Thomas Koerfer in durchaus kluge, grundsätzliche, aber mitunter auch wohlfeile Texte im dazugehörenden Katalog aus.
Leihgeber sind scheue Rehe, das hat das Kunsthaus bei Sammlungspräsentationen in der Vergangenheit immer wieder betont, letztmals recht explizit bei jener von Hubert Looser. Es ist also durchaus denkbar, dass eine mit Werken aus der eigenen Sammlung oder von ausserhalb beschafften Exponaten angereicherte Präsentation nicht zur Debatte stand. Dann wäre die Auslagerung in den (kostenpflichtigen) Text eine vergleichsweise elegante Lösung. Die Gretchenfrage allerdings, welche zwingenden Gründe trotz Geringdimensionalität für diese Ausstellung sprechen, wird damit nicht schlüssig beantwortet. Die nahe an Realsatire gereichenden Klärungsversuche in Katalog wie Medienmitteilung tuns auch nicht.
Kein Konzept
Der schwerreiche Erbe Thomas Koerfer gibt in den greifbaren Artikeln und Interviews mehrfach zu Protokoll, er sammelte «ohne Konzept». Soll er. Irritierend ist weiter die Auswahl. Anhand der Unterschiede zwischen den ausgestellten und den im Katalog abgedruckten Werken aus Koerfers Sammlung.
Er ist durchaus im Besitz von den Hintersinn der Betrachtenden anstachelnden Exponaten. Christoph Büchels «Ohne Titel» (Red Blue Chair) etwa, die die Designikone des Gerrit-Rietveld-Stuhls mit Lederriemen kombiniert und einerseits die Todesstrafe durch den elektrischen Stuhl mit dem Lustgewinn sado-masochistischer Grenzauslotungen ebenso kombiniert wie andererseits die grossbürgerliche Bereitschaft, im ausladenden Entrée den eigenen, guten Geschmack zu demonstrieren bei gleichzeitig grösstmöglicher Verschwiegenheit über wenig salonfähige Geschäftspraktiken, auf denen ein Vermögen möglicherweise basiert, fehlt schlicht in der Ausstellung. Genauso wie Mark Manders Skulptur «Clay Figure with Iron Chair», die ein geschlechtsloses Kind in Bronze zeigt, dem beide Arme und ein Bein sichtlich gewaltsam entfernt wurden und das sich mit Schultern an der Stuhlkante und dem verbliebenden Bein am Boden in einer Position zu halten versucht, die wiederum bereits als solche wiewohl im gesamten Zwiespalt der Darstellung regelrecht Bände spricht: Letztes Aufbäumen versus finale Erschöpfung und der Maximalanspruch (körperlicher) Unversehrtheit einer Kindheit versus der Erhebung deren Gegenteils zur Kunst. Um nur grad die beiden augenscheinlichsten zu nennen.
Stattdessen: Penis, Schwellkörper, Schwanz; Vagina, Vulva, Scheide – und nochmal von vorn. Entschuldigung, ich vergass: Penetration, Ejakulation und Ikonografie. Es geht hier keineswegs darum, den Sammler zu beleidigen, in dessen Jahre als Mitinhaber der Filmverleihfirma ‹Frenetic› auch die kommerziellen Auswertungen der sexuell explizitesten Filme in Zürich zur Zeit gehörten, wie «Baise-moi» und «Irreversible», denen es je – trotz ihrer ungeschminkten Explizitheit – sehr viel einprägsamer gelang, einen in einen letztlich bereichernden inneren Zwiespalt zu versetzen, weil die bare Sexualität mit einer kompromisslos gewaltbereiten Rachelust in Kombination erst eine Spannung herstellten. Die fehlt hier.
«Sinnliche Ungewissheit. Eine private Sammlung», bis 4.10., Kunsthaus, Zürich, Katalog bei Kehrer, 53 Franken. www.kunsthaus.ch