(Bild: Toni Suter)

Selbstverständnis

Clever und gekonnt mischt Bastian Kraft Märchen mit Aktivismus, Hochglanzshow mit Trash, Bekenntnisse mit Sehnsüchten und Sex mit Politik.

Die gute Nachricht: Der Pfauensaal steht noch. Selbst langanhaltende frenetische Begeisterungsstürme wie nach der Premiere von «Die kleine Meerjungfrau» von Bastian Kraft und Ensemble vermögen das altehrwürdige Gebäude nicht zu erschüttern. Das Stück indes sehr wohl. Sowohl Gewissheiten wie auch Emotionen. Wenn Anis Meschichi alias Klamydia von Karma heulend am Bühnenrand sitzt und das Anrecht auf das Zu- und Herauslassen von Traurigkeit reklamiert, weil die Begeisterung in der (vornehmlich Schwulen-)Szene für ein:e Dragperformer:in in einer schieren Gleichzeitigkeit in die Ausgrenzung derselben Person in zivil kippt, ist das ein berührender Moment. Das Herunterschlucken dieser sich wiederholenden schmerzlichen Erfahrung macht krank, also raus damit und das scheinheilige Oberflächenglück als das entblössen, was es ist. Wenn sich Ivy Monteiro alias Tophikahl Ivy provokant lasziv auf der Bühne räkelt und darüber sinniert, für sie als Person sei eine Transition überhaupt nicht abhängig von chirurgisch vorgenommenen Eingriffen am eigenen Körper, im Gegenteil seien für sie als Person die Möglichkeiten des Ausdrucks der eigenen Geschlechtsfluidität so regelrecht ideal, was nicht ausschliesst, hin und wieder Brustprothesen unter einem Abendkleid zu montieren, damit die Verwirrung und die dadurch drohende Gewaltausübung verringert werden könne, ist das genauso erhellend wie Ausdruck eines erfreulich weitreichenden Selbstverständnisses. Wenn sich Michel von Känel alias Paprika nahezu belustigt gegenüber den hartnäckig kaprizierten Vorurteilen zeigt, er als offen schwuler, drag auslebender Lehrer vermöge die Jugend zur Homosexualität zu verführen, wo sich die Beschränkung seines Einflusses auf ebendiese Jugend besonders frappant darin manifestiere, dass er eine Schulklasse nur mit Mühe überhaupt dazu animieren könne, die Hausaufgaben zu erledigen, ist auch das tragikomisch. Zur besseren Verständigung, wovon hier überhaupt die Rede ist, bringen auch sämtliche weiteren Ensemblemitglieder – Karin Pfammatter, Sasha Melroch, Julian Greis und Elias Arens – lebensechte Beispiele aus ihrem eigenen Blickwinkel bei. Die starke Empfindung einer Einzigartigkeit im Fühlen, Erleben und Wünschen, deren Realisierbarkeit mitunter auf Widerstand stossen, Schiffbruch erleiden, aber auch über Umwege in eine Art glücklicher Fügung münden kann, wird damit als universell erkennbar gemacht und ihrer selbsternannten Berechtigung für eine Dämonisierung beraubt.  Und fadegrad Fun ists auch.

«Die kleine Meerjungfrau», bis 1.3., Schauspielhaus, Zürich.