- Kultur
Selbsternannt
Wenn Michael Neuenschwander als Ted Cruz seinen Wahlkampfhelfer am Telefon mit den Worten «ich bin Senator, nicht Gott. Ich arbeite dran» zu beschwichtigen sucht, lässt die Kunstpause zwischen den Sätzen alle möglichen Interpretationen offen. Der mit Dissonanzen flirtende Heavy-Metal-Sound (Musik: Micha Kaplan), die verlassene Midwest-Tankstelle mit Paradiesversprechen am Horizont (Bühne: Naemi Nael Marti) und der Pseudolook eines knallhart zähen Naturburschen (Kostüm: Renée Kraemer) verorten als stereotype Insignien-Dreifaltigkeit den texanischen Senator im republikanischen Vorwahlkampf zu den US-Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 klar und klischiert. Das Wiederstarken des Wohlergehens der grossartigsten Nation obliegt einem einzigen, und das ist er selbst. Alle anderen Kandidaten sind Clowns, Rowdies, Pfadfinder. Lukas Bärfuss zeichnet für «Sex mit Ted Cruz» das vermeintliche Innenleben eines selbsternannten Messias nach, der dank einer ausnehmend freihändigen Bibelfestigkeit jedes Gebot schnurstracks auch in sein Gegenteil zu verwandeln vermag, der die Antwort auf alles noch vor einem Frageaufkommen formuliert und der sich selbstredend niemals aus einem eigenen Antrieb oder gar zum eigenen Vorteil für diese Position in die Waagschale wirft, sondern sich aus reinem Pflichtgefühl heraus verdienstvoll zur Verfügung stellt. Er schwört alles, sogar das auf der Bühne nicht auszumachende Blaue vom Himmel, um sich Sekunden später grosszügig Kraftausdrücke bellend, ungeniert kratzend das Gemächt in der Hose neu auszurichten. Alles getreu sakrosankter Prinzipien. Allein seine Gattin oder Gott könnten ihn davon abbringen. Und zuletzt ein einfaches Fait-accompli. Wojtek Klemm inszeniert Michael Neuenschwander als riesenhaft, aus dem die verinnerlichte Verzweiflung über das Eintreten des eigens prophezeiten Untergangs nicht nur quillt sondern regelrecht schiesst.
«Sex mit Ted Cruz», bis 25.6., Schauspielhaus, Zürich.