Seid nicht so kleinlich wegen 100 Mio. Franken

Am letzten Abstimmungssonntag hat der rechtbürgerliche Block eine grosse Schlappe eingefahren. Die Zürcher Stimmbevölkerung lehnte die Verkehrsfonds-Vorlage hochkant ab. Im Kantonsrat stimmten noch CVP, FDP, SVP, EDU und BDP ohne eine einzige abweichende Stimme geschlossen für das Gesetz. Bei der Volksabstimmung hingegen legten zwei Drittel der Stimmenden ein Nein ein. Nicht eine einzige Gemeinde stimmte zu.

 

Bemerkenswert ist dieses Ergebnis auch in Anbetracht der Vorgeschichte dieser Vorlage. Denn bereits 2016 griff der Kantonsrat erstmals in die öV-Kasse Verkehrsfonds. Man wollte sparen und kam auf die Idee, anstatt 70 Mio. Franken nur noch 20 Mio. in den öV-Topf einzulegen. Die Mehrheit der genannten Parteien stimmte dem zu – obwohl im dazugehörigen Gesetz steht, dass mindestens 70 Millionen einzulegen sind. Der Budget-Entscheid des Kantonsrats war deshalb klar gesetzeswidrig, sprich illegal.

 

Der Kantonsrat erlässt kantonale Gesetze. Diese gelten aber auch für den Kantonsrat selber. Das Problem ist, dass es häufig keine Konsequenzen hat, wenn eine Mehrheit im Kantonsrat das Gesetz bricht. Und so hatte auch dieser Gesetzesbruch für die rechten Parteien keine Konsequenzen. Darum wiederholten sie die Aktion 2017. Nochmals wurde von 70 auf 20 Millionen gekürzt bei der Fonds-Einlage.

 

Mit der Verkehrsfonds-Vorlage, die zur Abstimmung kam, wollte man diese gesetzeswidrigen Kürzungen nachträglich im Gesetz legalisieren. Das widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien und ist alles andere als eine saubere Gesetzgebung. Also ergriff unsere Ratsseite (SP, AL, Grüne, GLP, EVP) das Referendum. Und das Volk schickte die Vorlage deutlich bachab. Die nachträgliche Legalisierung der Kürzung ist damit gescheitert.

 

Also was jetzt? Es fehlen 100 Mio. Franken im Verkehrsfonds, die im Jahr 2016 und 2017 rechtswidrig gekürzt wurden. Werden diese 100 Millionen nun nachträglich einbezahlt? Der Präsident der FDP des Kantons Zürich teilte den Medien auf diese Frage mit, man sollte die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen. Das offenbart ein sonderbares Rechts- und Demokratieverständnis. Wir erleben im Kantonsrat eine politische Mehrheit, die sich gerade dann ans Gesetz hält, wenn es ihr von Nutzen ist. Das darf nicht sein. Als Antwort hörten wir von rechts: Jetzt seid nicht so kleinlich!

 

Dazu nur so viel: Wer den Streit um 100 Millionen als kleinlich bezeichnet, leidet ganz offensichtlich unter Grössenwahn.

 

Um das klare Votum der Zürcher Stimmbevölkerung umzusetzen, muss nun die Regierung einen Nachtragskredit vorlegen im Umfang von 50 Mio. Franken für die laufende Rechnung. Danach braucht es eine Finanzierung der 50 Millionen aus dem Rechnungsjahr 2017. Demokratie funktioniert nur dann, wenn sich ein grosser Teil an die Spielregeln hält. Die Einhaltung des Rechts ist eine der wichtigsten Spielregeln.

 

Martin Neukom, Kantonsrat Grüne, Winterthur

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