Sehnsucht nach Danach

Kunst kann universell sein, muss es aber nicht. Allermeistens, vor allem wenn sie nicht die beruhigende Oberfläche einer sorgsamen Zufriedenheitsherstellung im Sinn hat, bedarf ihre Entschlüsselung einer übergelagerten Einordnung mittels kultureller Referenzen und möglicher Sozialisation.

 

Bangkok – New York. Zwei einander sehr fremde Kulturen mit je spezifischen Eigenheiten, die aus mitteleuropäischer Warte beide gewöhnungsbedürftige Elemente aufweisen. Dier 1986 geborene Korakrit Arunandochai vereint beide in formal aufwändigen Videoinstallationen, die Heike Munder jetzt ins Migrosmuseum bringt. Eine nicht vertraute Sicht auf Thailand brachte uns vor ziemlich genau zehn Jahren die Kinoauswertung des Gewinnerfilms der Goldenen Palme in Cannes näher. «Uncle Bonmee Who Can Recall His Past Lives» von Apichatpong Weerasethakul blieb inhaltlich weitestgehend ein Buch mit sieben Siegeln. Wobei er durchaus erahnbar werden liess, welch grossen Einfluss die Ahnen, die Geisterwelt, die Reinkarnation auf ein Leben im Diesseits haben können muss. Im Gegensatz dazu existiert in der New Yorker Kunstszene eine vollends unironische Hinwendung zum Pathos, die im Tanz beispielsweise sehr befremdliche Züge für hiesige Sehgewohnheiten annehmen kann: Die rein auf die Makellosigkeit abzielende, heroisierende Inszenierung von Menschenkörpern, wie wenn niemals eine Zäsur durch die vergleichbare Überhöhung durch die Filme einer Leni Riefenstahl stattgefunden hätte. Was einen europäischen Blick vor den Kopf stösst.

 

Der Tod und das Danach

Geisterwelt und Pathos also finden in Filmen mit einer Werbeästhetik von Korakrit Arundanondachai ihre Vermengung. Als allererstes auffallend ist, dass der Teil «Songs for dying» das tatsächliche Sterben im diesseitigen Sinn meint, «Songs for living» hingegen ein Leben nach dem Tod. Die Grundfarbigkeit der beiden je rund halbstündigen Teile klärt bei genauerer Betrachtung über die sehnsüchtigere Hinwendung des Künstlers auf: Dying ist blau, schwarz, grau – Living ist rot, orange, gelb. Die Hoffnung ist auf beiden Seiten auf ein Später delegiert. Beim effektiven, körperlichen Sterben im Jetzt (inspiriert durch den Verlust des Grossvaters) schwingt ein Trost mit, der eine Hoffnung meint, die zurückliegenden Lebensjahre dieses einen Lebens hätten das persönliche Karma positiv beeinflusst, was eine Wiedergeburt in Form eines höheren Lebewesens (hier: ein Baum) möglich machen würde. Während die Hoffnung im anderen Film auf ein Leben danach vielmehr Zeugnis einer tief verinnerlichten Schicksalsergebenheit abbildet, die da meint, die Urkraft aller Energie würde schon alles zum Besten richten. Optisch geben beide Filme aber im Gegensatz zu ihren Subtext auf ihrer jeweiligen Oberfläche überhaupt keinen Anlass für Hoffnung.

 

Mord, Zerfall, Erlösung

Die anspielungsreichen Filmzitate, die der Saaltext verdankenswerterweise teilweise dechiffriert, meinen auf beiden Seiten die Zerstörungslust des Wesens Mensch zu jeder Zeit und deren offenbar trotz allen Glaubens nicht veränderbare Unbedingtheit. Mensch gegen Mensch. Mensch gegen Natur. Mensch gegen die Urkraft von Mutter Erde, ergo dem Universum als solchem, ergo einer Gottähnlichkeit. Die hier vermittelte Endlichkeit von individuellem Einfluss auf die Monstrosität dieser Art eines Begriffs von Zeitläuften meint auch eine fatalistische Ohnmacht. Diese sehnt sich nach Erlösung. Eine, die aber nur von aussen kommen kann. Weil der Glaube an die Macht der Selbsterkenntnis der Lebenden und in der Folge die Veränderung im Umgang mit allem anderen Lebenden offensichtlich nicht Teil einer solchen Erzählung ist. Also ist es der Schamanismus (im Hier: eine alte Frau, im Dort: ein kleines Kind) mit seinen Riten, die Leid abwendbar oder immerhin erträglich werden lassen soll. Also ist es die Hoffnung auf eine archaische, naturkräfteverbundene Rückbesinnung, was aber im direkten Umkehrschluss das exakte Gegenteil einer jüngeren sozialen Errungenschaft der Diversität meint. Weil Stammesstrukturen in dieser Form starre Normen im Verhalten und Sein, wenn nicht gar einer eifersüchtig einzuhaltenden Hierarchie bedeuten. Alles andere würde als nicht tolerabel erscheinen, was zuletzt die aktuellen Tendenzen in den Bestrebungen für eine sogenannt bessere Welt – sozial, wirtschaftlich und politisch – als sich gegenseitig automatisch ausschliessend beschreiben würde. Womit der Pathos in die Fragestellung zurückkehrte und alle inszenierte Ergriffenheit eigentliche eine Entscheidung meinte und einforderte. 

 

Korakrit Arunanondchai: «Songs for dying / Songs for living», bis 9.1.22, Migrosmuseum, Zürich.

 

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