Sci-Fi, Trump

Gerade läuft im Sofakino Xenix noch der Filmzyklus zum Thema «Big Data». Er bietet, neben einigen beklemmenden Dokumentationen, vor allem intelligente Science-Fiction: natürlich gruselig unterhaltsam, aber auch höchst instruktiv. Denn an ihren Dystopien lässt sich ablesen, wie eine Gesellschaft über ihre Unfreiheit denkt.

 

Nehmen wir etwa George Orwells Roman 1984 (verfilmt 1984), der an sich einfach eine in die Zukunft extrapolierte Zeitdiagnose über Orwells Gegenwart ist, eben den 1948 herrschenden Totalitarismus. Nach diesem Muster funktioniert die im Science-Fiction geäusserte Gesellschaftskritik bis ins späte 20. Jahrhundert: Sie prangert eine Überwachungs-, Gefühls- und Sprachdiktatur durch den Big Brother an oder die Repression durch entmenschlichende Produktionsprozesse (wie etwa in Chaplins Modern Times). Man könnte diese Stossrichtung grob gesagt als Gegenwarts- und Vergangenheitsbewältigung im Anschluss an die Weltkriege einordnen, die ja nicht nur fiktional, sondern tatsächlich in totalitäre oder zumindest überwachungsparanoide Gesellschaften mündeten.
 
Neuere Sci-Fi, die eine totale Steuerung oder Überwachung durch Bösewichte schildert, ist wohl immer noch packend (etwa Code 46) – wirkt aber etwas altbacken. Denn unterdessen gab es 1968, freie Liebe, Selbstverwirklichung, Auflösung gesellschaftlicher Normen für weite Teile der Weltbevölkerung. Alles gut also? Natürlich nicht. Die virtuelle Realität, simulierte Welten, Mensch-Maschine-Hy­briden sind die neuen Schreckgespenster – prototypisch verwirklicht in der Matrix-Trilogie (Maschinen beuten Menschen aus und halten sie in einer virtuellen Welt bei Laune) oder im Animé Ghost in the Shell (letzter Überrest eines menschlichen Geists im Maschinenkörper kämpft gegen den Superhacker). Trotz ihrer enormen Wucht könnte man sagen, dass diese Zukunftsvisionen noch nicht in der Gegenwart angekommen sind. Sie erzählen immer noch die Mär vom übermächtigen Gegner (im Himmel, im Netz, in der Tiefsee…) und der befreienden Revolte gegen ihn.
 
Heute haben wir jedoch ein anderes Problem: Die Steuerung hat sich einerseits zu kybernetischen Prozessen ohne Autorschaft verdünnisiert. Allein Fassbinder hat dies bereits 1973 (!) mit «Welt am Draht» ins Bild gesetzt (einmalige Vorführung am Auffahrts-Sonntag: Hingehen! Wer sie verpasst, wird bei Les Vidéos an der Zähringerstrasse fündig.) Andererseits wurde die Steuerung gar ins Individuum hinein verlagert – als Qualitätskontrolle oder Selbst­optimierung bzw. als hyperindividuelle Selbstverwirklichung durch Konsum. Der absolut gesetzte, also totalitäre Markt definiert de facto unsere ‹unbegrenzte Freiheit› warenförmig. Nämlich im anything goes als Zwang, unsere Individualität über immer exquisiteres Geniessen von Dingen stets neu am Markt auszurichten. So färbt sich auch das Zwischenmenschliche warenförmig (bejahend etwa in 50 Shades of Gray). Der Gegner sitzt also in mir drin, sieht aus wie Freiheit und ist damit ebenso unfassbar wie unangreifbar geworden.
 
Damit sei nun die Brücke zu Trump geschlagen. Man unterstellt ihm Orwellsches Neusprech, einen Rückfall ins Totalitäre. Das ist grundfalsch. Beängstigend an Trump ist einerseits, dass er sich als einer von uns anbiedert; er weigert sich sozusagen, den Glauben ans menschlich Ideale zu nähren. Und: er wurde freiheitlich-demokratisch gewählt. Das ist das erschreckende Aufwachen in der Freiheit! Den entsprechenden, zeitdiagnostischen Science-Fiction habe ich noch nicht gesehen…

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