- Im Kino
Schraubstock
Weder hat das Velo Licht noch gibt der Guineer Souleymane (Abou Sangare) je richtungsändernde Handzeichen, wenn er unter grossem Zeitdruck die Essenslieferungen durch Paris fährt. Seine Aufmerksamkeit gilt dem Auswendiglernen seiner Fluchtgeschichte, die ihm sein Landsmann Emmanuel (Emmanuel Yovanie) gegen eine noch zu verdienende Gebühr aufs Handy gesprochen hat. Das digitale Kurierkonto gehört eigentlich dem Kameruner Barry (Alpha Oumar Sow), der ihn damit nicht nur abzockt, sondern als er das Konto mal wieder mit seinem Selfie freischalten lassen muss, mit «ihr Afrikaner seid einfach zu faul und wollt nur betrügen» abkanzelt. Dann ruft auch noch seine in Tränen aufgelöste verlobte Kadiatou (Keita Diallo) an, die ihm mit ihrer Sehnsucht das Herz zudrückt und verkündet, sie sei unschlüssig, ob sie den Antrag eines Ingenieurs annehmen oder doch lieber den Weg übers Mittelmeer zu ihrem Geliebten wagen sollte. Lauert ein Lieferant mit der Essensausgabe oder wohnt ein Kunde im sechsten Stock ohne Lift gerät die ohnehin sehr sportlich knapp kalkulierte Terminierung für den Bus in die Notschlafstelle in Gefahr. Schafft ers, zieht er eine Nummer und hat für die Nacht ein Etagenbett, eine Mahlzeit, eine Waschgelegenheit. Bereits um Mitternacht klingelt der Handywecker, damit er sich den Schlafplatz für die kommende Nacht rechtzeitig reservieren kann. Zwei Tage bleiben Souleymane in Boris Lojkines schonungslos unmittelbarem Film bis zur Anhörung bei der Asylbehörde. Die Beispielgeschichte will ihm einfach nicht in den Kopf, ein Verkehrsunfall ramponiert Rad wie Transportgut, das Kurierkonto wird definitiv gesperrt, Barry bleibt unerreichbar, das Geld für die Unterlagen fehlt, der Bus fährt ihm vor der Nase ab. Der Film stellt keine asylrechtlichen Thesen auf oder moralische Verurteilungen an. Er zeigt allein einen Alltag eingezwängt im Schraubstock der allseitigen Fremdbestimmung.
«L’histoire de Souleymane» spielt in den Kinos Frame, Piccadilly.