- Gedanken zur Woche
Schlankheitskur für dicke Karren
Es gibt Initiativen, die sammeln sich wie von selbst. Es sind seltene Fälle und die Leichtigkeit des Sammelns ist auch kein verlässlicher Indikator für den späteren Abstimmungserfolg. Aber ich kann mich noch gut erinnern, als die Jungen Grünen ihre «Stopp-Offroader-Initiative» gesammelt haben, es muss 2008 oder 2007 gewesen sein. Ich stand am Limmatplatz am SP-Stand und konnte die Sammelaktion gut beobachten. Jedes Mal, wenn ein SUV vorbeifuhr, wurden die Unterschriftensammler:innen von einer Menschentraube umschwärmt. Die Initiative traf also einen Nerv, beziehungsweise traf etwas, was viele nervt.
Die Entwicklung hin zu immer grösseren und fetteren Karren ist seither noch weitergegangen, wie es jeder Blick aus dem Fenster unschwer erkennen lässt. Zwischen 2001 und 2022 hat sich das Durchschnittsgewicht der in Europa verkauften Autos um 21 Prozent gesteigert. In der Schweiz ist die Entwicklung noch weit akzentuierter. 2018 schrieb Swissinfo.ch: «Wenn man Grösse und Leistungsfähigkeit kombiniert betrachtet, verfügt die Schweiz über einen europaweit einzigartigen Fuhrpark. Fast die Hälfte sind SUVs, während der durchschnittliche Anteil in europäischen Ländern bei einem Drittel liegt.» Bezüglich Leistungsfähigkeit liegt die Schweiz 25 Prozent über dem europäischen Schnitt. Das wird sich auch 2024 nicht geändert haben.
Das Phänomen nennt sich «Car bloat» oder «Autobesity». Die Autos sind fettleibig geworden und es ist klar: Gesund ist diese Entwicklung nicht. Zwar ist in der Schweiz dieser Trend einhergegangen mit strengeren Regelungen bei den Emissionen. Die Jungen Grünen haben ihre Initiative 2011 zugunsten eines indirekten Gegenvorschlags zurückgezogen. Damals wurde im CO2-Gesetz ein Zielwert für den durchschnittlichen Ausstoss von 130 Gramm pro Kilogramm pro neu eingeführten Personenwagen festgeschrieben. 2021 wurde dieser auf 118 Gramm pro Kilometer gesenkt. Nur: Diesen Zielwert haben die Autoimporteure, wie Watson berichtet, 2023 zum siebten Mal in Folge verfehlt. Die durchschnittlichen CO2-Emissionen sinken aber, insbesondere wegen dem zunehmenden Verkauf von elektrischen Fahrzeugen.
Aber selbst wenn alle verkauften SUVs durch Elektro-SUVs ersetzt würden, wäre das zwar besser als heute, aber wären längst nicht alle Probleme gelöst. Denn die SUVs sind auch richtige Platzfresser. Auf einem amerikanischen Highway mag das weniger ein Problem sein, in den engen europäischen Kernstädten weitaus mehr. Bekanntlich ist Verkehrspolitik in Städten ein heisses Pflaster: Teilweise sogar höllisch heiss, wie in der «Commission from hell», wie die Verkehrskommission des Zürcher Gemeinderats früher genannt wurde (habe ich erfunden, ehrlich wahr). Der Grund: Auch aufgrund des beschränkten Platzes gibt es auf den Strassen eine grosse Menge an Ziel- und Nutzungskonflikten. Um diese zu vermindern, bräuchten alle Verkehrsteilnehmenden von Fussgängerinnen über Velofahrende, vom Tram bis zum Auto jeweils genügend Platz. Das ginge allenfalls auf einer dieser Prunkalleen in europäischen Hauptstädten, aber nicht in Zürich. Es braucht also Abstriche. Und weil das Auto das ineffizienteste und das umweltschädlichste Verkehrsmittel ist, ist es nur rational, da auch die Einschränkungen zu machen. Passieren tut aber teilweise das Gegenteil. So werden Parkplatznormen angepasst, weil die Autos immer grösser und breiter werden. Wer bleibt dabei auf der Strecke?
Richtig, alle anderen. Denn SUVs sind auch ein Sicherheitsproblem. Der Mobilitätsforscher David Zipper schreibt auf Vox.com, dass in den USA die Zahl an tödlichen Unfällen mit Fussgängern und Velofahrenden massiv zunehme. Und nicht nur diese kommen in einer Kollision mit einem SUV buchstäblich unter die Räder, es sind auch all jene mit einem etwas kleineren Auto. Das führt zu einem Wettrüsten auf der Strasse. Und das geht bekanntlich immer schief, wie wir auch im «Gespräch der Woche» lernen können.
In den USA haben allerlei Steuervergünstigungen, Subventionen und von der Autolobby erreichte Schlupflöcher diesen Trend noch verstärkt. Aber auch ohne wächst die Zahl der grossen Autos – wie die Schweiz zeigt – beständig. Und damit auch der durch SUV verursachte Ärger. Die Bewohner:innen von Paris haben Anfang dieses Jahres beschlossen, dieses Problem anzugehen, indem mittels einer höheren Parkgebühr die SUV-Flut eingedämmt werden soll. So müssen SUV-Besitzer jetzt die dreifache Parkgebühr zahlen. Diese Preise gelten für Besuchende von ausserhalb, Einwohner:innen und Handwerker:innen sind ausgenommen.
Auch in der Stadt Zürich soll dieses Anliegen im Rahmen der Revision der Parkkartenverordnung diskutiert werden, wie Markus Knauss (Grüne) gegenüber ‹20Minuten› ausführt. Diese ist im Moment in der Kommissionsberatung – genau, in der mit der Hölle. Das Problem wird denn auch sein, was alles unter Parkgebühren subsummiert werden kann. Ist es nur der «gemietete Platz» oder können mittels Parkgebühren auch weitere Lenkungsabgaben erhoben werden, also auch eine Abgeltung für weitere Kosten, die ein Fahrzeug verursacht? Wie beispielsweise eben das Ausstossen von Treibhausgasen oder die erhöhte Gefährlichkeit, die von diesen Fahrzeugen ausgeht. Die Bepreisung negativer Externalitäten wird insbesondere von Ökonom:innen und (Grün)liberalen als Methode bevorzugt. Damit werden Anreize über den Preis gesetzt, beziehungsweise der «reale» Preis für eine Leistung verlangt. Das politische Problem an der Geschichte ist, dass hohe Gebühren nicht sonderlich populär sind und auch sozialpolitisch schwierig sein können. Allerdings hält sich die Zahl der Armen mit SUV doch einigermassen in Grenzen. Man fragt sich allerdings, ob ein Verbot nicht einfacher, effektiver und schlicht ehrlicher wäre. Das Ozonloch wurde schliesslich auch durch ein Verbot von FCKW und nicht durch die Verteuerung von Haarspray bekämpft.
Ob Verbot oder Bepreisung, mir scheint die Zeit durchaus reif für eine neue Anti-Offroader-Initiative in irgendeiner Form. Und ich bin überzeugt, sie würde auch heute auf grosse Sympathien stossen. Der Widerstand und Aufschrei dagegen käme natürlich auch. Aber dabei muss man sich immer vergegenwärtigen, wie gross der Gewinn an Lebensqualität in den Städten ist, wenn Städte zunehmend für Menschen gebaut und gestaltet werden statt für Autos. Das gefällt selbst heimlich den Bürgerlichen. Oder zumindestens ist eine mediterrane Nacht im Boulevard-Cafe wohl angenehmer als neben einer Autobahn.