(Werke: Walid Raad, Bild: Franca Candrian)

Schelm

Eine Schauermärchen und eine Verschwörungstheorie unterscheidet bloss die dahinterliegende Absicht.

Mehrfach betont die Erzählstimme im Audioguide (identisch mit den Wandtexten), so unwahrscheinlich die soeben kolportierte Geschichte sich auch anhören möge, sie entspreche überprüfbaren Tatsachen. Zumindest die Eingangsbehauptung im Dada-Kabinett ist nachweislich erfunden, was die Skepsis über die folgende, ausnehmend raffiniert aufgebaute Räuberpistole weckt. Ein Teppich, den niemand aufzuheben in der Lage sein soll, rückwärtig bemalte Altmeistergemälde, die sich noch nie jemand von vorne getraut habe anzusehen, eine Restauratorin von Weltrang, die sich davor fürchtete, die Gemälde würden selbstständig die Flucht ergreifen können. An blühender Fantasie mangelt es Walid Raad ganz augenscheinlich nicht. Akribisch behauptet er eine grosse Vielzahl von zurückliegenden Gegebenheiten, die sich letztlich alle auf wundersame Weise ineinander verflochten in ein sich stimmiges Ganzes fügen. In den hochheiligen Hallen einer durchs Band ernsten Institution wie dem Kunsthaus Zürich, das sich aktuell grad profund mit der Unterscheidung zwischen Halbwahrheit, Wunschdenken und Realitätsnähe von Historie befassen muss, profitiert die Ausstellung «Cotton under my feet» von der publikumsseitigen Grundannahme, den hier anzutreffenden Erklärungen als dem neusten Stand der Wissenschaft entsprechend zu begegnen, als Steilpass entgegen. Um darüber auf charmant schelmische Weise, das dann schon, ein wundersam filigranes Kartenhaus zu bauen, das jeder physikalischen Gesetzmässigkeit trotzt und trotzdem dasteht. Dass Irreführung funktioniert, bedarf an sich keiner Beweisführung. Welch grosser Aufwand vonnöten ist, einen belastbaren Gegenbeweis herbeizuführen, auch nicht. Bleibt die Frage nach dem angepeilten Zweck und zum Grenzverlauf der Redlichkeit von Showeffekten in der Vermittlung. Darüber schweigt sich die Schau aus. Sonst liefe sie ja beispielsweise Gefahr, paternalistisch, akademisch oder sogenannt elitär zu wirken. Das Gegenteil des n’importe-quoi indes birgt die potenziell noch weiterreichende Gefahr von Geschichtsrevisionismus. Klar wird in dieser bis auf einzelne Exponate auf digitalen reproduzierten Vergrösserungen basierenden Märchenschau an sich nur eins: Mit dem Baukörper und dessen Verwendungszweck allein geht noch keine Garantie auf ein aufrichtiges Bemühen für eine redliche und lückenlose Wissensvermittlung einher. Dass die Werke indes leicht hinter einem Zuviel an Informationen zum Verschwinden gebracht werden können, wird hier exemplarisch dargestellt.

Walid Raad: «Cotton under my feet. The Zurich chapter», bis 3.11., Kunsthaus, Zürich. Begleitheft.