same same but different

Beim Rumstöbern im Internet stiess ich auf den Youtube-Kanal namens «Sewing Techniques», in dem es um Upcycling von Textilien geht. Man sieht immer nur ein Paar Hände, die jeweils ein Kleidungsstück oder Stoffreste verwandeln – ohne Schnittmuster, Untertitel oder gesprochene Erklärungen. Jemand verwendet plumpe Kleider und macht mit einigen Handgriffen etwas Hausbackenes draus, so à la Kirchen-Basar der 1970er-Jahre. Ein anderer reduziert praktisch alles auf ein Rechteck, und am Ende ists eine Tasche oder ein Rucksack – brauchbar, aber nicht berauschend. Die dritte ist eine echte Könnerin: Alles Erdenkliche – Socken, Unterhosen, Krawatten, Schals, BHs, Hemden usw. – wird zu Kissen, Kleidern, Taschen, Schürzen, Hüten, Körben usw. Mal brauchts ein paar Handgriffe und mal ist es ein komplexes Verstürzen, Verdrehen und Ineinanderschieben. Die Kurven an Kleidungsstücken, wie Halsausschnitte, Armlöcher oder die Schrittnaht, zeichnet sie ohne Hilfsmittel von Hand ein – so sicher und exakt, wie die meisten von uns nicht einmal eine gerade Linie hinkriegen. Grossartig!

Gebannt sass ich da und glotzte. Aus welchem Kulturkreis dieser Kanal wohl stammte? Es sah nicht nach mitteleuropäischen Wohlstandstextilien aus. Die Nähmaschinen wirkten alt und konnten nur Geradstich. Öfters wurde betont, dass sich die Produkte prima verkaufen liessen. Als ich in den Kommentaren nach Hinweisen suchte, erschrak ich: Welch Häme, welche Niedertracht! Die Hälfte der Bemerkungen troff vor Gehässigkeit; es hagelte Gaggi- und Kotz-Emojis. Auf Englisch: «So eine Zeitverschwendung! Davon kann man zwölf Stück für elf Dollar im Supermarkt kaufen!» Aus dem Arabischen oder Türkischen übersetzt: «Wenn sie nur Kleider zerschneiden kann!», «Das Hemd war noch gut, das hätte sie jemandem weitergeben können!» «Wertloser Müll. Nimm Stoff am Meter, dann lohnt sich die Mühe!» oder schlicht «Potthässlich, wer will so einen Schrott!». 

Wie konnte man sich derart über harmlose Handarbeiten ärgern? Ich sah genauer hin und erkannte in einer Spiegelung das Gesicht einer Schneiderin mit Kopftuch drumherum. Hier lag wohl der wahre Grund für die amerikanischen Abwertungen. Viele der übrigen kamen von Männern, deren Profilfotos nicht vermuten liessen, dass sie etwas von Upcycling verstünden. Vielleicht waren sie grundsätzlich dagegen, dass Frauen sich in die Öffentlichkeit wagten und andere dazu animierten, Geld zu verdienen. Ich fragte einige: «Warum schaust du das, wenns dich anödet? Du kannst ja einfach abstellen.» Oder: «Jemand macht etwas Kreatives, und du ziehst es in den Dreck. Das ist nicht OK.» Antwort: «Ist halt meine Meinung.» Mit einer Frau – mit dem Slogan «atatürk!» als Profilbild – entspann sich ein Dialog, in dessen Verlauf sie daran festhielt, das alles sei pure Verschwendung, irgendein Bedürftiger hätte die alten Sachen bestimmt noch brauchen können. Sie meinte, wir (in Westeuropa) hätten unseren Wohlstand auf ihrer Armut begründet und könnten wohl Kleider zerschneiden, sie aber hätten nichts übrig. Keine Chance für Argumente: Dass Upcycling doch gerade die Not lindere, dass man immer etwas lernen könne und dass es nicht fair sei, Leuten, die ihr Können freigiebig teilten, derart an den Karren zu fahren. Am Ende wurde sie wütend und verbot mir, weiter zu schreiben. 

Was steckte dahinter: Europäer-Hass wegen Erstem Weltkrieg? Kopftuch-Hass wegen säkularisiertem Staat? Handarbeits-Hass wegen Fortschrittsgläubigkeit? Oder lassen die Darbietenden eine bestimmte Ethnie erkennen, etwa die kurdische? Ich kam nicht drauf und musste es auf sich beruhen lassen. Zurück bleibt Erstaunen: Wie sich in Ost und West etwas ganz Ähnliches recht anders entwickelt hat, und wie verschieden es bewertet wird…