Rot was Grün für Velos

Sollen die RadlerInnen auf Velorouten künftig das Stoppschild als «kein Vortritt»-Signalisation interpretieren dürfen und das Rotlicht als Stoppschild? Der Zürcher Gemeinderat hat ein Postulat überwiesen, das ein entsprechendes Pilotprojekt verlangt.

 

 

Nach dem festlichen Start von letzter Woche begann für den Zürcher Gemeinderat am Mittwochabend der Arbeitsalltag. Allerdings schien die lange Zeit ohne reguläre Sitzung bei einigen Ratsmitgliedern Entzugserscheinungen verursacht zu haben; jedenfalls gab es einige persönliche Erklärungen. Eine Fraktionserklärung der SVP verlas ihr neuer Fraktionschef Roger Bartholdi. Sie trug den Titel «Wozu braucht es Kommissionen?», und inhaltlich ging es, wen wunderts, um die Lecks aus der Finanzkommission zum Stadionprojekt (siehe auch Seite 9 dieser Ausgabe).

 

Idaho, Paris, Zürich

Am meisten zu reden gab ein Postulat von Sven Sobernheim und Shaibal Roy (beide GLP) mit dem Titel «Pilotprojekt zur Einführung der Idaho-Regelung auf Velorouten». Dabei geht es um spezielle Verkehrsregeln, die im amerikanischen Bundesstaat Idaho seit 1982 gelten: Einen Stopp dürfen VelofahrerInnen als «kein Vortritt»-Signalisation interpretieren und ein Rotlicht als Stoppsignal. Sie können demnach, wenn die Bahn frei ist, einen Stopp überfahren, ohne anzuhalten und mit dem Fuss den Boden zu berühren. Beim Rotlicht muss der Fuss kurz auf den Boden, aber bei freier Bahn darf die Fahrt sogleich fortgesetzt werden, ohne erst auf Grün warten zu müssen.

 

Sven Sobernheim führte dazu aus, dass Stoppstrassen dort signalisiert würden, wo man aus dem Auto heraus nicht genug sehe bzw. nicht gut gesehen werde. Für Velos sei dies aber nicht gerechtfertigt, «kein Vortritt» sei ausreichend. Er erinnerte weiter daran, dass Zürich das Velo fördern will; dazu würden auch solch «einfache und günstige betriebliche Massnahmen» beitragen. Auch in Paris sei die Idaho-Regelung bereits seit einigen Jahren eingeführt und funktioniere gut. Zum Rechtsabbiegen bei Rot verwies er auf den erfolgreichen Pilotversuch in Basel.

 

Noch-Sicherheitsvorsteher Richard Wolff gab die ablehnende Haltung des Stadtrats bekannt: Ein Gesetz, das den VelofahrerInnen das Rechtsabbiegen bei Rot erlaubt, sei zwar in der Vernehmlassung, und der Pilotversuch in Basel habe gezeigt, dass dadurch die FussgängerInnen nicht gefährlicher lebten. Doch beim geradeaus Fahren oder Linksabbiegen bei Rot sei er skeptisch, «das könnte gefährlich sein». Deshalb sei der Stadtrat gegen den Pilotversuch, und er glaube auch nicht, dass das Bundesamt für Strassen diesen bewilligen würde. Zudem gebe es offene Fragen zur Rechtssicherheit beziehungsweise dazu, wer bei einem Unfall schuld wäre.

 

Für Christoph Marty (SVP) war klar, worum es sich beim Vorstoss handelt: «Hier kommt Ideologie vor Sicherheit und Vernunft.» Im Staat Idaho lebten soviele Menschen wie in der Stadt Zürich – aber auf der fünffachen Fläche der Schweiz. Dort dürften auch die Autos bei Rot rechts abbiegen. Würde man aber die dortige Regelung auf Zürich übertragen, gäbe es nur noch mehr verletzte VelofahrerInnen. Skeptisch zeigte sich auch Markus Knauss (Grüne), dem, wie er betonte, die Veloförderung «sehr am Herzen liegt». Die grössere Sichtweite vom Velo aus am Stopp oder beim Rechtsabbiegen zu nutzen, wäre kein Sicherheitsproblem, befand er. Ein Rotlicht sei jedoch stets «ein starkes Signal». Wer heute verbotenerweise mit dem Velo ein Rotlicht überfahre, sei sich denn auch bewusst, dass er eine «rote Linie» überschreite, und passe entsprechend gut auf. Wenn aber das Überfahren des Rotlichts erlaubt würde, wären die VelofahrerInnen weniger aufmerksam, was ihrer Sicherheit nicht zuträglich wäre. Deshalb, schloss Knauss, hätten die Grünen Stimmfreigabe beschlossen, und er lehne das Postulat ab.

 

«Ein Stopp bleibt ein Stopp»

Auch die FDP war dagegen, weil «die Sicherheit gefährdet» wäre, wie Andreas Egli ausführte. Ernst Danner (EVP) gab freimütig zu, dass er persönlich die Idaho-Regelung seit eh und je anwende – und sich schon langsam wundere, weshalb er noch nie eine Busse bekommen habe … Dass die EVP das Postulat dennoch ablehnt, begründete er damit, dass die Regelung ja nur auf Velorouten gälte, und von denen gebe es nicht so viele in Zürich. Damit müssten die VelofahrerInnen in ein und derselben Stadt unterschiedliche Regeln anwenden, und das wäre nicht gut: «Verkehrsregeln müssen massentauglich und narrensicher sein.» Kein Problem sah hingegen Marianne Aubert (SP), deren Fraktion sich fürs Postulat aussprach: «Eine Stoppstrasse bleibt eine Stoppstrasse, auch mit Idaho. Die Fahrt verlangsamen und nach links und rechts blicken muss man weiterhin. Ich sehe nicht, was daran gefährlich sein könnte.» Mit 70:45 Stimmen überwies der Rat das Postulat.

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