Reduzieren, wiederverwerten und erst dann recyceln

Die Schweiz gehört bei der produzierten Abfallmenge zur europäischen Spitze: 700 Kilogramm Abfall produziert ein Schweizer Haushalt im Schnitt pro Jahr. Um dieser Ressourcenverschendung Einhalt zu gebieten, haben die Jungen Grünen Zürich die Kreislaufinitiative lanciert. Wo im Kanton Zürich noch Handlungsbedarf besteht, erklärt Selina Walgis, Co-Präsidentin der Jungen Grünen Zürich, im Gespräch mit Zara Zatti.

 

Die Kreislauf-Initiative fordert vom Kanton Zürich und seinen Gemeinden günstige Rahmenbedingungen und Anreize für einen ressourcenschonenden Konsum. Welche falschen Anreize werden heute gesetzt und was muss geändert werden?
Selina Walgis: Um im Klimaschutz vorwärts zu kommen, müssen wir endlich konsequenter den Weg in Richtung Kreislaufwirtschaft einschlagen. Im Moment landen z.B. ein Drittel aller produzierten Lebensmittel im Abfall. Zugleich werden Konsument­Innen gezwungen, riesige Mengen an Plastik zu konsumieren: Plastik ist billig, es wird keine Steuer darauf erhoben und es ist praktisch. Ausserdem kommt es häufig günstiger, etwas neu zu kaufen, statt es reparieren zu lassen. Aus diesem Grund sollen unter anderem Repair-Cafés, Tauschmärkte und Flohmärkte aktiv gefördert werden und Innovation soll unterstützt werden. Eine Möglichkeit wäre auch, vermehrt auf Verbote zu setzen. In Frankreich etwa ist Einweggeschirr bereits verboten. Wenn ich heute bei einem normalen Grossverteiler in Zürich einkaufe, ist alles in Plastik verpackt. Zwar gibt es Zero Waste-Shops, diese sind dann aber relativ teuer. Damit sich im grossen Stil etwas verändert, muss Plastik verboten oder teurer werden.

 

Wie schwierig finden Sie es momentan, umweltschonend zu leben?
Es gibt vieles, das man als Einzelperson einfach umsetzen kann und viel ausmacht: Reduktion oder Verzicht auf Fleisch und tierische Produkte, weniger mit dem Flugzeug in die Ferien fliegen, mit dem ÖV oder dem Velo zur Arbeit fahren. Es ist wichtig, dass sich der Einzelne mit der Thematik auseinandersetzt. Man kann aber nicht von der gesamten Gesellschaft erwarten, dass sie sich jeden Tag mit Umweltfragen befasst. Aus diesem Grund muss sich auch politisch etwas ändern. Gerade bei Verpackungsmaterial ist es schwierig, durch Eigeninitiative Abfall zu reduzieren, da beim Grossverteiler einfach fast alles in Plastik verpackt ist. Gleichzeitig ist es wichtig, die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren, insbesondere beim Food Waste, für den zu 45 Prozent Privathaushalte verantwortlich sind.
Haben wir beim Recycling das Ziel bereits erreicht?
Vieles läuft bereits gut. So gibt es beispielsweise bereits heute die Möglichkeit, Plastikprodukte wie etwa PET-Flaschen bei den Grossverteilern zurückzubringen, gleichzeitig besteht aber noch viel Spielraum nach oben. Wir Junge Grüne setzen uns z.B. für ein Plastik-Recycling-System in Zürich ein, damit jede Zürcherin und jeder Zürcher seinen gesamten Plastik einfach recyceln lassen kann. Dank unserer eingereichten Petition mit über 3000 Unterstützenden ist der Zürcher Stadtrat nun daran, ein entsprechendes System auszuarbeiten und umzusetzen. Dass ein Bedürfnis nach Recycling besteht, hat sich diese Woche wieder gezeigt: Aldi sammelt keine Getränkekartons mehr, weil zu viele Kunden und Kundinnen das Angebot genutzt haben und der Detailhändler mit der grossen Menge überfordert war. Die Schweizerinnen und Schweizer sind zuverlässige RecyclerInnen, es fehlt aber noch ein flächendeckendes Angebot. Dabei leistet Plastik-Recycling einen wichtigen Beitrag für die Umwelt, pro Tonne recyceltem Plastik können über 2,4 Tonnen CO2 eingespart werden.

 

Wie würde ein solches Plastik-Recycling-System aussehen?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Man kann zum Beispiel das bestehende Cargo-System ausbauen, damit man auch Plastik deponieren kann, oder man stellt einen Gebührensack für Plastik zum Kauf bereit, der gleich viel kostet, wie ein normaler Gebührensack.

 

In der EU sollen bis 2021 gewisse Plastikprodukte verboten werden. Die Schweiz zieht nicht mit, unter anderem mit der Begründung, dass Plastik in den Schweizer Gewässern kein Problem darstellte. Hat die Schweiz also gar kein Plastikproblem?
Die Aussage, dass bei uns kein Plastik in den Gewässern landet, ist falsch. Es wurde in einzelnen Untersuchungen festgestellt, dass durchaus Plastik in Schweizer Gewässern landet. Es fehlt aber bis jetzt an grösseren Studien. Dies wollen wir mit dem letzten Artikel unserer Initiative, der sehr wichtig ist, ändern. Darin fordern wir Zahlen zu den Fremdstoffen, die in die Umwelt gelangen. Dazu gehört auch der Mikroplastik im Wasser. Ein Teil des Mikroplastiks wird zwar in den Kläranlagen rausgefiltert, aber eben nicht alles. Hier fordern wir konkrete Zahlen, um dann Massnahmen ergreifen zu können. Das ist besonders wichtig, da heute niemand abschätzen kann, welche langfristigen Folgen Mikroplastik für die Umwelt und für Organismen hat. Wir fänden es auf jeden Fall gut, wenn die Schweiz mit der EU mitziehen und ein solches Verbot einführen würde.

 

Bei welchen Prozessen, abgesehen von Littering, gelangt dieser Mikroplastik in die Umwelt?
Viele Pflegeprodukte wie etwa Duschmittel, Shampoo oder Peelings enthalten Mikroplastik, welcher dann beim Duschen ins Abwasser gelangt. Zwar kann auch hier ein grosser Teil aus dem Wasser gefiltert werden, die kleinsten Teilchen bleiben aber bestehen. Sind diese Teilchen erst einmal in die Umwelt gelangt, ist es fast unmöglich, diese wieder zu entziehen.

 

Eine grosse Menge an Abfall verursacht heute auch Einwegplastik von Take-Away-Produkten. Welche Möglichkeiten gibt es, diesem Trend entgegenzuwirken?
Ich habe grundsätzlich nichts gegen Take-Away. Es gilt aber, den dabei anfallenden Abfall zu verringern. Eine Möglichkeit, das zu erreichen, ist das Einführen eines Depot-Systems: Die Take-Aways bieten Tupperware an und man erhält ein Depot, wenn man sie zurückbringt. Eine andere Möglichkeit ist eine Preisreduktion, wenn man seinen eigenen Behälter mitbringt. Wichtig dabei ist es, das Depot oder die Preisreduktion genug hoch anzusetzen, sodass die KonsumentInnen auch motiviert sind, dementsprechend zu handeln, zumindest, bis eine Umgewöhnung stattgefunden hat. Auch Grossanlässe wie der Weihnachtsmarkt sind hier von Bedeutung. Hier könnten Gemeinden direkt Einfluss nehmen und solche Anlässe in Zukunft nur noch genehmigen, wenn eine entsprechende Lösung für Einweggeschirr im Konzept inbegriffen ist.

 

Bezüglich der produzierten Abfallmenge ist die Schweiz europaweit Spitzenreiterin. Was machen andere Länder besser?
Eine wichtige Rolle spielt sicher der Wohlstand in der Schweiz: Wir können uns beispielsweise häufig Take-Away-Produkte leisten. Ausserdem glaube ich, dass wir, gerade weil wir so viel recyceln, ein gutes Gewissen in Bezug auf die Umwelt haben. Diesen Widerspruch sah man etwa bei PET-Flaschen: Sobald man diese recyceln konnte, stieg der Konsum an PET-Flaschen, weil das schlechte Gewissen abnahm. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es in der Schweiz ausserdem weniger Verbote. Frankreich zum Beispiel verbietet nicht nur gewisse Plastikprodukte, sondern zwingt die Detailhändler auch, überschüssige Lebensmittel an Organisationen zu spenden oder bei Ladenschluss günstig anzubieten. Schaut man auf den Kanton Zürich, hinkt auch dieser im Vergleich zu anderen Kantonen hintennach. So existiert im Kanton Thurgau ein flächendeckendes Plastik-Recycling-System. Dabei können 50 Prozent des Plastiks wiederverwendet werden, die restlichen 50 Prozent werden verwertet, wodurch Kohle eingespart wird.

 

Nicht nur die KonsumentInnen sind für Food Waste verantwortlich, sondern auch die Grossverteiler. Was muss sich dort ändern?
Es stimmt, dass die KonsumentInnen für einen grossen Teil des Food Waste verantwortlich sind, wobei ich auch dort eine gewisse Mitschuld bei den Detailhändlern sehe. Ein Problem stellen dabei die grossen Mengen dar, die angeboten werden. Karotten etwa werden in einer so grossen Verpackung angeboten oder liegen bereits eine lange Zeit im Geschäft, dass häufig ein Teil weggeschmissen werden muss. Wenn vermehrt regionale und saisonale Produkte angeboten würden, wären diese auch länger haltbar, da sie frischer im Laden ankommen. Die Grossverteiler könnten Produkte vor Ladenschluss vermehrt zu einem günstigen Preis anbieten oder an Organisationen spenden. Dies wird zwar teilweise schon gemacht, jedoch längst nicht mit der gesamten Menge an Lebensmitteln, die weggeschmissen werden. Heute müssen Organisationen oft aktiv auf die Grossverteiler zugehen, damit sie die Lebensmittel erhalten, die sonst im Abfall landen.

 

Wie kann man Einfluss nehmen auf das Verhalten der Grossverteiler?
Eine gute Möglichkeit sind offene Briefe oder Social Media, um Druck auf die Detailhändler auszuüben. Diese wollen schliesslich dem Bedürfnis der Kunden gerecht werden. Aus diesem Grund haben solche Mittel oft eine grosse Wirkung.

 

Der Initiativtext ist relativ vage gehalten. Unter anderem fordert er, dass sich der Kanton und die Gemeinden nach den Grundsätzen der Wiederverwendung und Wiederverwertung richten. Machen sie das nicht schon bzw. wo müssen sie das noch vermehrt machen?
Dass der Initiativtext eher allgemein gehalten ist, liegt daran, dass es sich bei der Kreislauf-Initiative um eine Verfassungsinitiative handelt. In die Verfassung kann man keine konkreten Massnahmen, sondern lediglich Grundsätze schreiben. Die Initiative möchte ein Zeichen setzen, dass wir mit unserem ökologischen Verhalten noch nicht am Ziel angelangt sind und wir uns nach wie vor in einigen Punkten verbessern müssen. Das Problem ist, dass ein grosser Teil der Gesellschaft das Gefühl hat, dass wir bezüglich Ökologie bereits sehr gut aufgestellt sind und wir uns darauf ausruhen können. Dabei müssen wir in vielen Punkten noch eine Verbesserung erreichen, gerade bei der Plastikverwertung oder bei der Erhebung von Daten in Bezug auf Fremdstoffe, die in die Umwelt gelangen. Es soll aber nicht nur beim Recycling angesetzt werden, wir müssen auch unser Konsumverhalten ändern. Der Grundsatz muss lauten: Reduzieren, wiederverwerten und erst dann recyclen.

 

Am 8. März haben Sie mit der Unterschriftensammlung begonnen. Wie viele Unterschriften konnten Sie bereits sammeln und wie gross ist das Interesse der Bevölkerung am Thema?
Wir sind mit dem Unterschriftensammeln sehr gut auf Kurs. Unser Ziel ist es, 7000 Unterschriften zusammenzutragen, dafür haben wir ein halbes Jahr Zeit. Auf der Strasse haben wir gemerkt, dass die Initiative bei der Bevölkerung sehr gut ankommt:
Von den Menschen, die Zeit haben, kurz anzuhalten, unterschreiben 90 Prozent. Das zeigt, dass die Ressourcenverschwendung ein Thema ist, das viele Menschen beschäftigt.

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