- Im Gespräch
Rechts überholt, Links liegen gelassen
In der deutschen Tageszeitung «nd» haben Sie zusammen mit dem Politikwissenschaftler Alexander Gallas einen Artikel über die «anti-linke Konjunktur» im Westen verfasst. Was steckt hinter diesem Begriff?
Moritz Ege: Der Begriff «anti-linke Konjunktur» beschreibt eine gesellschaftspolitische Konstellation, in der linke Positionen und progressive Bewegungen nicht nur geschwächt sind, sondern als gemeinsames Feindbild dienen. Dieses linke und nicht zuletzt auch grüne Feindbild eint derzeit verschiedene gegnerische Lager – von der extremen Rechten bis in die bürgerliche Mitte. Ein markantes Beispiel ist die verschärfte Rhetorik von Donald Trump. Im November 2023 versprach er, «die Kommunisten, Sozialisten, Faschisten und linksradikalen Verbrecher auszurotten, die wie Ungeziefer in den Ritzen unseres Landes leben». Solche entmenschlichenden Aussagen zeigen, wie die Linke als Bedrohung inszeniert und kriminalisiert wird.
Warum verwenden Sie den Begriff «Konjunktur» in diesem Zusammenhang?
Der Begriff «Konjunktur» leitet sich hier von der britischen Kulturtheorie ab, insbesondere von Stuart Hall. Er verwendete den Begriff «Conjuncture», um komplexe Konstellationen zu beschreiben, in denen politische, kulturelle und wirtschaftliche Kräfte und Prozesse zusammenwirken und sich zuspitzen. Es geht also nicht um wirtschaftliche Zyklen im traditionellen Sinne, sondern um spezifische historische Momente, in denen gesellschaftliche Auseinandersetzungen besonders intensiv sind und eine neue Form von Hegemonie entsteht. Die aktuelle anti-linke Konjunktur ist demnach Ausdruck einer solchen Zuspitzung, in der verschiedene Entwicklungen – von politischer Rhetorik bis zu medialer Berichterstattung – die Linke zum Sündenbock machen. Wir sind in einer Situation, in der die Nachteile des neoliberalen Modells ökologisch, verteilungspolitisch und auch in der Alltags- und Medienkultur immer deutlicher geworden sind, durch grosse Krisen, auch durch die weit verbreitete subjektive Erschöpfung und ein schwelendes Unbehagen. Links-emanzipatorische Ansprüche werden aber abgewehrt, dagegen gewinnen autoritäre Programmatiken an Popularität.
Zeitgleich mit dem Erscheinen Ihres Artikels wurde die AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen mit fast 33 Prozent zur stärksten Kraft. Ist dieser Rechtsruck die nächste Eskalationsstufe in der anti-linken Konjunktur?
Ja, das kann man so interpretieren. Der Erfolg der AfD in Thüringen, Sachsen und nun auch Brandenburg und die gleichzeitige Schwäche der Linkspartei, aber auch der Grünen und (in zwei von drei Fällen) der SPD, sind ein deutliches Zeichen für die Verschärfung der anti-linken Stimmung in Deutschland. Die Wahlergebnisse zeigen, dass eine Rhetorik gegen linke Positionen und progressive Werte auf immer grössere Resonanz stösst und die politischen Machtverhältnisse verschiebt. Und es tragen auch moderate politische Kräfte zur Verschärfung bei, indem sie sich rabiat von linken Positionen abgrenzen, um «Seriosität» und «Realismus» zu signalisieren, vor allem in der Migrationspolitik. Das findet sich auch bei Vertreterinnen und Vertretern der eher konservativen Flügel von SPD und Grünen. Und: Das Auftreten des Bündnisses Sahra Wagenknecht, das sich dezidiert von traditionellen linken Positionen und auch vom Wort «links» distanziert, verstärkt diese Dynamik zusätzlich.
«Die Wahlergebnisse zeigen, dass eine
Moritz Ege
Rhetorik gegen linke Positionen und progressive Werte auf immer grössere Resonanz stösst.»
Anti-linke Strömungen sind in Europa nichts Neues. Wie lässt sich die aktuelle Konjunktur mit ihren historischen Vorgänger:innen vergleichen?
Die heutige anti-linke Konjunktur weist tatsächlich Parallelen zu früheren Phasen auf. Ein prägnantes Beispiel, das wir uns für diesen Artikel angeschaut haben, ist die «Great Moving Right Show» in Grossbritannien Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre, die von Stuart Hall analysiert wurde. Damals, also am Beginn des neoliberalen Projekts, nutzte Margaret Thatcher eine autoritär-populistische Rhetorik, um die Linke – sowohl die Gewerkschaften als auch antiautoritäre und antirassistische Bewegungen – als Feindbild zu etablieren und konservative Politik durchzusetzen. Sie stellte die Linke als bevormundend und staatsgläubig dar und zugleich als Bedrohung für Recht und Ordnung, während sie selbst für traditionelle Werte wie Familie, harte Arbeit und Patriotismus eintrat. Das Hauptfeindbild in Medienkampagnen waren junge migrantische Kriminelle, gegen die die Linke nicht vorgehen würde. Mit diesen Kampagnen wurde auch in Teilen der Arbeiterklasse Zustimmung für das neoliberale Vorhaben geschaffen. Ähnlich wird heute die Linke als Bedrohung für die ‹normalen Leute› inszeniert, während behauptet wird, vermeintlich bedrohliche Minderheiten einerseits und «kulturelle Eliten» andererseits würden auf Kosten der «wahren Volkes» bevorzugt. Neu ist, in welchem Masse sich derzeit auch Kräfte der politischen Mitte und der Sozialdemokratie aktiv an dieser Abgrenzung beteiligen. Politiker wie Olaf Scholz, Keir Starmer und Emmanuel Macron übernehmen anti-linke Rhetorik und distanzieren sich von progressiven Positionen. Diese breite Front gegen die Linke, auch von gemässigten Kräften, ist in vielen westlichen Ländern ein charakteristisches Merkmal der aktuellen Situation.
Was kam zuerst – die aufgeladene Stimmung in der Bevölkerung oder deren Beeinflussung durch politische Akteur:innen?
Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Einerseits gibt es gezielte Kampagnen von politischen Akteuren und Medien, insbesondere von radikal-rechten, populistischen und libertären Gruppen, die anti-linke Stimmungen schüren, und die es sehr gut verstehen, mit den Möglichkeiten der digitalen Medienlandschaft umzugehen. Man denke an Trump oder Musk oder die rechte TikTok-Szene. Sie nutzen bestehende Ressentiments und verstärken sie durch polarisierende Rhetorik. Dahinter stehen auch Think Tanks, Medieneigentümer und andere strategische Denker. Es wäre naiv, das als etwas anzusehen, das naturwüchsig ‹an der Basis› beginnt. Andererseits ist es kein Zufall, dass es gerade diese Rhetorik und diese Deutungsangebote sind, die so viel Resonanz erfahren. Viele Menschen erleben Unsicherheit durch Globalisierung, Prekarisierung und den Wegfall traditioneller Sicherheiten wie stabile Jobs und soziale Absicherung. Eine grosse Gruppe will eine ‹exklusive Solidarität›, die Schutz und Anerkennung für die eigene Gruppe bietet – für diejenigen, die sich ‹an die Regeln halten›. Die anderen dagegen sollen diszipliniert werden. Die Linke hat dagegen ethisch-moralische Ansprüche, die den Kreis der Solidarität ausweiten. Diese Ansprüche passen ja eigentlich durchaus z.B. zu einem christlichen und aufklärerisch-bürgerlichen Wertekanon. Die Aggressionen gegen Linke und Grüne haben viel damit zu tun, dass solche Forderungen nach der Ausweitung von Solidarität abgewehrt werden, auch auf einer psychologischen Ebene. Man will sich kein schlechtes Gewissen machen lassen – auch vor dem Hintergrund, dass man im kapitalistischen Alltag mit seiner Konkurrenzlogik ja tatsächlich sehr oft auf sich selbst zurückgeworfen ist und Angst hat, dass sich die Lage für einen selbst verschlechtert. Hinzu kommen weitere kulturelle Dynamiken: Emanzipatorische Bewegungen und progressive Politik werden oft als Normalitätsverstösse oder Verhaltenszumutungen empfunden, zum Beispiel bei Sprachregelungen, wie das der Berliner Soziologe Steffen Mau und sein Team aufgezeigt haben. Die Rechte bietet Erklärungen und Schuldzuweisungen an, aber auch eine gewisse anti-moralistische Komplizenschaft, indem sie die Linke als naiv-idealistisch, bevormundend und heuchlerisch darstellt. Dieses Zusammenspiel von Verunsicherung, Entsolidarisierung, moralischer Entlastung und gezielter Beeinflussung schafft ein Klima, in dem anti-linke Ressentiments gedeihen.
Haben sich linke Parteien diese Ressentiments auch selbst eingebrockt?
Selbstkritik ist immer eine gute Idee, aber die Linke ist auch in einer objektiv schwierigen Situation. Es stimmt sicherlich, dass sie es in vielen Ländern versäumt hat, die Interessen ihrer traditionellen Wählerschaft – insbesondere der Arbeiterklasse – zu vertreten. Und wenn sie an der Regierung war, hat das der Basis oft nicht viel gebracht oder ihre Lage sogar verschlechtert. Werke wie Didier Eribons «Rückkehr nach Reims» haben diese Problematik aufgezeigt. In vielen Ländern ist die Linke in ihrer sozialen Zusammensetzung stark verbürgerlicht, verstädtert, akademisiert und subkulturalisiert. Das spiegelt bis zu einem gewissen Grad aber auch den gesellschaftlichen Strukturwandel wider, die Gesellschaft ist nicht mehr die der 1970er-Jahre. Und in der Diskussion über diese Entwicklung ist in den letzten Jahren ein vereinfachtes Bild entstanden, in dem die Identitätspolitik für viele Linke an allem schuld ist. Aber mit diesem Stichwort sind nun mal, bei allen Problemen, auch viele Gleichheitsforderungen verbunden, die aus guten Gründen zum Kern linker Projekte gehören. So oder so sind die Forderungen aus diesen verschiedenen Bereichen aber nicht leicht unter einen Hut zu bringen, das sind reale Widersprüche, es ist nicht einfach ein Versagen der Linken. Ein anderes offensichtliches Beispiel dafür sind die widerstreitenden unmittelbaren Interessen von Belegschaften z.B. in der Auto- oder Schwerindustrie, und Klimazielen. Die Linke stellt mit Forderungen nach gesellschaftlicher Transformation und Themen wie dem Klimawandel den Status quo infrage, was bei vielen Menschen Ängste und Abwehrreaktionen auslöst – trotzdem muss sie es tun, wenn sie ihren Ansprüchen gerecht werden will. Und wie immer ist die Linke auch gespalten; zum Beispiel verharmlosen manche Strömungen unter dem Stichwort des Antiimperialismus autoritäre Regime, z.B. in Russland oder im Iran, oder verherrlichen sie sogar.
Wie steht es um die anti-linke Konjunktur in der Schweiz?
Weniger spektakulär, würde ich sagen, eher schleichend – und manches davon hat schon vor längerer Zeit begonnen. Hierzulande zeigt sich die anti-linke Konjunktur am direktesten durch die Rhetorik der SVP, die wie Parteien der radikalen Rechten anderswo in Europa und auf der Welt nach Schema F gegen «Wokeness» und progressive Themen mobilisiert. Neu ist die Verstärkung durch internationale Einflüsse, die solche Kampagnen noch wirkungsvoller machen. In der aktuellen Situation ist auffällig, dass auch Parteien wie die FDP zunehmend auf diesen Zug aufspringen, obwohl sie traditionell als marktwirtschaftlich orientiert, aber gesellschaftspolitisch gemässigt galten. Sie übernehmen Positionen der sich radikalisierenden Rechten und beteiligen sich an Kulturkampfdebatten, etwa gegen geschlechtersensible Sprache, in der Klimapolitik, in der Kulturförderung – von der Migrationspolitik gar nicht erst zu reden. Im Unterschied z.B. zu Deutschland oder Grossbritannien beteiligen sich SP und Grüne aber kaum an dieser Tendenz. Das macht schon einen grossen Unterschied.
Wie profitiert die FDP von der Neupositionierung?
Gut, die anti-sozialistische Polemik ist natürlich nicht neu, die gehört seit langer Zeit zum liberalen Programm. Die FDP hat sich in den letzten Jahren aber tatsächlich zunehmend konservativer positioniert, besonders nach Führungswechseln und enttäuschenden Wahlergebnissen. Sie versucht, durch eine klare Abgrenzung nach links gesellschaftliche Stimmungen aufzugreifen, die als anti-links und anti-woke wahrgenommen werden. Dies entspricht einem europäischen Trend – zuletzt vor allem in der Migrationspolitik. Gleichzeitig vertreten Liberale auch dezidiert die Interessen von Wirtschaftsakteur:innen, die etwa in der Klimapolitik oder bei der Künstlichen Intelligenz strengere Regulierungen als hinderlich fürs Geschäft empfinden. Emotionale und kulturelle Aspekte spielen ebenfalls eine Rolle: Die Anti-Wokeness-Debatten treffen einen Nerv bei Teilen der Bevölkerung, auch bei sozial eher Privilegierten, die progressive Forderungen als Infragestellung ihrer Führungsansprüche und vielleicht sogar ihrer moralischen Integrität wahrnehmen.
«Um wirklich das Ruder herumzureissen, müsste die Linke die Spaltung zwischen Stadt und Land überwinden und sich wieder breiter verankern.»
Moritz Ege
Was muss die Linke tun, um das Steuer herumzureissen?
Ehrlich gesagt bin ich für die Linke momentan nicht besonders optimistisch. Sie steht vielerorts vor grossen Herausforderungen und Niederlagen. Es gibt zwar punktuelle Erfolge, etwa bei bestimmten Abstimmungen oder in städtischen Milieus, aber das sind eher Ausnahmen. Um wirklich das Ruder herumzureissen, müsste die Linke wohl die tiefe Spaltung zwischen Stadt und Land überwinden und sich wieder breiter verankern – was ja auch in der Schweiz durchaus versucht wird, auch mit gewissen Erfolgen bei sozialen und ökonomischen Themen. Sie müsste die Anliegen verschiedener Bevölkerungsgruppen ernst nehmen und darf nicht als elitär oder abgehoben wahrgenommen werden. Als Akademiker muss man sich eingestehen, dass man da oft eher Teil des Problems als der Lösung ist. Zugleich hat die Linke auch Erfolge zu vertreten, sowohl sozialpolitisch als auch z.B. in der Anerkennung einer postmigrantischen Gesellschaft, die sich offensiv vertreten lassen. Ansonsten geht es um pragmatische Strategien, um Erreichtes zu verteidigen und Minimalziele zu erreichen. Das erfordert oft die Zusammenarbeit mit gemässigten Akteur:innen aus dem liberalen oder konservativen Spektrum. Und im Bereich der Medien gibt es für Linke sicherlich mehr als genug zu tun, um sich attraktiver darzustellen, auch jenseits der eigenen Kreise.