- Kultur
Raus aus der Komfortzone
Verrückt, wie sich vierzig Jahre alte Stücke als brandaktuell herausstellen. Taboris Groteske über die Schutzbedürftigkeit des glücklosen Kunsteleven A. H., der ausgerechnet durch den väterlichen Zuspruch des jüdischen Buchhändlers davon abgehalten wird, sich darob in den Tod zu stürzen, steht eine aktuell anhaltende Verbreitung einer tendenziellen Bereitschaft gegenüber, das Erstarken einer äussersten Rechten schulterzuckend als quasi gottgegeben hinzunehmen und jedwede Abwehrenergie in Scheinriesennebenschauplätze zu investieren, ergo in ihr Gegenteil zu verkehren. Bernhards ebenso grosszügig in den Zuschauer:innenraum gekippte scharf sarkastische und multiperspektivische Grenzauslotung einer nachgerade höfisch geheuchelten Verehrung von Künstler:innen, die im Ausspielen ihrer Möglichkeiten strikt an die Kandare genommen und kreativ wie finanziell zermürbt und ausgehungert werden, steht ein Notfallszenario gegenüber, das in Krisenzeiten von klammem Staatshaushalt zuvorderst als nicht lebensnotwendiger Luxus verschrien und demzufolge mit dem Rotstift grosszügig zu Leibe gerückt werden kann. Beide Stücke würgt die vor vierzig Jahren noch zur österreichischen Staatsraison erhobene Täter-Opfer-Umkehr während des Nationalsozialismus, was es vereinfachte, einflussreiche Kritiker als Nestbeschmutzer abzuklassieren und zu desavouieren. Dass die unbedingte Dringlichkeit der Anliegen in ihrer überwältigenden Ohnmacht zur Übersprungshandlung eines Rückgriffs auf haufenweise sarkastischen Spott führt, erreicht die Qualität einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Nun ist das ja bloss Kunst. Also etwas, dessen Abwesenheit ein Leben zwar möglich, aber eben auch sinnlos erscheinen lässt. Beide Stücke, der Beschränkung ihrer eigenen Wirkmacht schmerzlich bewusst, schieben und zerren, treten und stossen ihr Publikum über die Ignoranzschwelle einer Komfortzone hinaus. Der über zweistündige Parforceritt von Stefanie Reinsperger als Staatskünstler Bruscon verleiht dem sinnbildlichen Spiel um Leben und Tod eine derartige Unbedingtheit, dass sich über die intellektuelle Perfidie der zeitgleich multiperspektivisch reflektierenden wie auch unter einer Verengung der Wahrnehmung leidenden Figur ein Subtextfüllhorn über einen ergiesst und einen damit zu Begeisterungsstürmen hinreisst. Ändern wird sich wohl trotz allem nichts. Dem gerade daraus erwachsenden Furor seines weitreichenden Auslaufs aber mal wieder zusehen zu dürfen und die intellektuelle Herausforderung als regelrecht physisches Erleben wahrnehmen zu können, das ist ein Geschenk. Ein Augenblick der Wohltat.
«Der Theatermacher», 1.6., Theater Winterthur.